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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Kurfürstendamm, wo man sitzt, um zu sehen und gesehen zu werden, vom Kaufhaus des Westens, einem Tempel der Schönheit und des Luxus, von der Krönung der englischen Königin in Westminster Abbey, die er in der ersten Auslandsdirektübertragung im Fernsehen verfolgt hatte, von den Brecht-Inszenierungen im Berliner Ensemble, die man gesehen haben muss, auch wenn man dafür eine Fahrt in den grauen Osten der Stadt in Kauf nehmen musste. Und von Lil Dagover. Ihr hat er den Puls gefühlt, als sie zwischen zwei Aufführungen einen Schwächeanfall hatte. Er erzählte und erzählte immer noch von seinen Erlebnissen, als es draußen schon dämmerte. Bernhard schwirrte der Kopf. War das nicht alles oberflächlich und eitel? Sehen und gesehen werden! Das war ihm so fremd wie das Bedürfnis, an Weihnachten Erdbeeren und Pfirsiche zu essen oder Elisabeth II. im Krönungsornat zu sehen. Und war Lil Dagover nicht eine Patientin wie jede andere? Aber fremd waren ihm nicht nur die Verlockungen der Großstadt, fremd war ihm der Freund, der von ihnen schwärmte.
    Beide hatten nicht bemerkt, dass – als Ulrich gerade von der Eröffnung eines neuen Filmpalastes berichtete – jemand hereingeschlichen kam und auf der Treppe kauerte. Es war Katrin. Sie lauschte. Ihr schwirrte nicht der Kopf, es weitete sich ihr Herz.
    Ausgeschlafen und verschont von den Folgen des Alkohols ging Ulrich nach dem Frühstück unter dem Vorwand, sich die Beine vertreten zu wollen, so lange kreuz und quer durch den Hof, bis Katrin ein Fenster öffnete. «Ich habe gestern Abend eine Gestalt auf der Treppe gesehen. Ich glaube, das waren Sie. Warum habenSie sich nicht zu uns gesetzt, um uns einsamen Männern etwas Gesellschaft zu leisten?» – «Ich wollte nicht stören, nur Ihre Geschichten wollte ich hören. Berlin. Ich bin nie in Berlin gewesen. Ich bin überhaupt nirgends gewesen.» – «Dann besuchen Sie mich doch mal. Es ist keine Weltreise. Ich zeige Ihnen die Stadt.» – «Kommen Sie rein. Die Tür ist offen. Ich koche Ihnen eine Tasse Kaffee.» – Als er ihr gegenübersaß, sah er, dass etwas sie quälte. «Ich kann hier nicht weg. Ich habe zwei kleine Kinder und erwarte ein drittes.» Sie hätte sich ihr Leben anders vorgestellt, sagte sie. «Wäre ich doch in die Stadt gezogen und hätte was Ordentliches gelernt, statt hier zu versauern.» Ja, sie lebe mit diesem Jean-François zusammen. «Der ist groß und stark und hat …» Sie zögerte und sagte es vor diesem fremden Mann dann doch: «… und hat ein Hirn so groß wie eine Nuss.» Im Garten hörte man Kindergeschrei. «Immer streiten sie. Und mir ist die ganze Zeit übel. Und dieses ständige Ziehen im Bauch. Das war die anderen Male nicht so.» Um ihr zuvorzukommen, sagte Ulrich: «Ich kann Sie nicht untersuchen. Sie müssen zu einer Frauenärztin gehen.» – Auf einmal hatte er es eilig. «Ich will sehen, was Bernhard macht. Danke für den Kaffee.»
    ***

8. Kapitel
    Katrin befolgte Ulrichs Rat nicht. Aber von Woche zu Woche besserte sich mit dem Schwinden der Übelkeit auch ihre Stimmung, und als sie meinte, die ersten Regungen in ihrem Unterleib zu spüren, ließ auch das schmerzhafte Ziehen nach. Sie löschte die Bilder der großen Stadt und den Nachklang der Stimme, der sie ihre Entstehung verdankten, aus ihrem Gedächtnis. Sie flocht Ursula Zöpfe aus den dünnen Haaren und ließ zu, dass Jean-François wieder zu ihr ins Bett kam. «Sei vorsichtig!», sagte sie. «Nicht so wild!»
    Doch das Unheil lauerte schon. Es hatte Jean-François im Visier und bediente sich eines Fußball-Länderspiels zwischen Italien und Frankreich. Jean-François, dessen Herz im Elsass für die Deutschen geschlagen hatte, wettete im «Rotfuchs» einen Wochenlohn auf die französische Elf. Drückend war die Atmosphäre und gereizt, als die Italiener ein erstes Tor schossen. Aus dem Abseits, Jean-François hatte es genau gesehen. «Schiebung!», schrie er und wollte aus dem Schiedsrichter Hackfleisch machen. Als zehn Minuten später ein Spieler der Franzosen die rote Karte gezeigt bekam, feixten in der Kneipe die Italiener, die sich hinter einem Tisch verschanzt hatten. Jean-François klebte die Zunge am Gaumen: «Noch ein Bier!» Aber die Wirtin zapfte gerade für diese dahergelaufenen Pomadeköpfe. Unbändige Wut stieg in ihm auf. Er stürzte sich auf die Italiener, riss einen hoch und versetzte ihm einen wuchtigen Schlag mitten ins Gesicht. Der Mann ging zu Boden, in dem Augenblick schoss die italienische

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