Der Maskensammler - Roman
überlegen.» Katrin missverstand sein Zögern. Sie überwand einen Anflug von Stolz und sagte, sie könne ihm wieder wie früher die Füße massieren, wenn er das wolle. Allerdings nur noch einmal die Woche und auch nicht mehr so lang, höchstens eine halbe Stunde. Bernhard aber war mit anderen Gedanken beschäftigt. Eine Neueinstellung würde eine Fahrt in die Stadt nach Birkenfeld notwendig machen. Er seufzte.
***
Nach dem Tod seines Vaters hatte Bernhard das Bankhaus nicht gewechselt. Der alte Bankier – ebenjener, bei dem er vor Jahren eine Lehre hätte machen sollen – empfing ihn mit jovialer Herzlichkeit. Ob Bernhard sich bereitfinden könnte, einen Vortrag über die Kultur Javas zu halten, fragte er. Vor einem kleinen Kreis ausgesuchter Gäste, versteht sich. Alles hochgebildete Leute. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er einige Bemerkungen über die wirtschaftlich schwierigen Zeiten, dann schellte er. Man brachte zwei Gläser trockenen Sherry. Nach dem «Prosit» kam Herr von Stadelheim zur Sache: «Ich habe mir Ihr Konto angesehen, es schaut gar nicht schlecht aus.» Und mit einem Seitenblick aufBernhard, der den Lodenanzug seines Vaters trug, fügte er hinzu: «Ihr Lebensstil ist unaufwendig. Es hat sich bei Ihnen ein beachtliches Sümmchen angesammelt. Hier! Ich habe einen Kontoauszug mitgebracht.»
Ohne ein Anzeichen von Freude über die günstige Entwicklung seines Barvermögens erklärte Bernhard, was ihn hergeführt hatte: Er stünde vor der Frage, ob er einen Hausmeister einstellen sollte. Herr von Stadelheim lehnte sich zurück, nippte an seinem Sherry und sagte: «Wenn ich Ihnen einen väterlichen Rat geben darf: Tun Sie es! Sie können es sich leisten. Stellen Sie den Mann ein, wenn er Ihnen geeignet erscheint. Nicht fest, erst einmal zur Probe. Und sehen Sie zu, dass er dieses Fräulein Weinzierl heiratet.» Dann sagte er etwas von zwei Fliegen und der einen Klappe und bot seinem Gast an, ihm bei der Formulierung eines Anstellungsvertrages behilflich zu sein.
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Noch benommen von der drückenden Schwüle im Nahetal, erschöpft von der Fahrt kam Bernhard zu Hause an. Er hatte nur ein Bedürfnis: Ruhe. Da trat aus dem Schatten ein Mann auf ihn zu. Erschrocken griff Bernhard zur Innentasche seines Jacketts, er glaubte, es wäre ein Überfall. Der Mann streckte ihm eine Hand entgegen, in der seine wie in dem Maul eines Tigers verschwand. «Ich heiße Jean-François und möchte mich bewerben. Ich mach alles. Sie werden mit mir zufrieden sein.» – «Später. Über Einzelheiten sprechen wir später. Sagen wir in einer Stunde, oder besser in anderthalb.»
Jean-François räumte auf. Er verbrannte Berge von stinkendem Müll, zerbrochene Stühle, Bilderrahmen und Geweihe schmiss er auf den Scheiterhaufen. Bernhard ließ sich nicht blicken. Katrin rettete einen alten Sessel und einen Schuhkarton mit Postkartenvor der Vernichtung. Ursula stand mit Ugo etwas abseits. An ihrem Arm baumelte Bärbel, ihre aus einem Wollstrumpf genähte Puppe. Bläulich züngelten die Flammen. Da drehte sie sich um und warf über ihren Kopf den kleinen Körper in die Glut.
Drei Tage und drei Nächte verpestete das Feuer die Luft, und als es heruntergebrannt war, fuhr Jean-François fünfundzwanzig Schubkarren mit zu Klumpen geschmolzenen Behältern, geborstenen Flaschen, ausgeglühten Sprungfedern ehemaliger Matratzen und Asche zu einem Graben im Wald. Hinterm Haus entdeckte er die Umrisse des Gemüsegartens, an dem Bernhard längst das Interesse verloren hatte. Er schnitt mit der Sichel das kniehohe Unkraut und grub um, sodass Katrin Radieschen säen und Salat und Kohlrabi pflanzen konnte. Wie im Rausch befreite er alte Johannisbeer- und Stachelbeersträucher aus einem Urwald von Brennnesseln, trank dann mit gewaltigem Durst und nahm sich Katrin vor, die sich seiner weder erwehren konnte noch wollte. Sie betete zu ihrer Namenspatronin, der heiligen Katharina von Alexandria, dass sie ihr die Sünden, die sie mit diesem Mann beging, vergeben möge. Dass sie schwanger war, gab ihr Kraft, Katrin erlebte eine glückliche Zeit.
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Ursula reagierte ungerührt auf die Geburt ihrer Schwester. Als Katrin nach drei Tagen aus dem Krankenhaus zurückkam und das mitgebrachte Bündel auszupacken begann, genügte es ihr, die zugekniffenen Augen und das durchsichtige Rosa des Gesichts zu sehen. Vom ersten Augenblick an wusste sie Bescheid: Das kleine Wesen, das gerade getätschelt wurde, damit es ein «Bäuerchen» machte, war
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