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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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deine Schwester geht mit, damit du nicht irgendwelchen Unsinn machst.» – Ohne je dagewesen zu sein, wusste Ursula, was sie in dem «Schuppen» erwartete: Die Musik war unerträglich schlecht und die Jungens nur blöd. Andererseits … Sie rümpfte die Nase, man sollte ihr nicht ansehen, dass sie auch neugierig war. Der Abend wurde ein Fiasko.
    Steif saß Ursula auf ihrem Stuhl. Als ein Junge kam, um mit ihr zu tanzen, würdigte sie ihn keines Blickes. Danach forderte sie keiner mehr auf. Maria sprang auf der Tanzfläche herum ohne einGefühl für den Rhythmus, aber die Jungens waren hinter ihr her. Ursula sah neidvoll, wie ihre Schwester sich amüsierte. Da stand sie auf und stellte sich auf die Tanzfläche. Sie machte Schritte wie in Trance, die anderen wichen vor ihr zurück. «Was ist denn mit der los?», rief einer. Mädchen kicherten. Die Musik setzte aus. Der Ansager kam grinsend auf Ursula zu, verbeugte sich förmlich vor ihr und überreichte ihr einen Luftballon. Dann nahm er dem Nächststehenden die Zigarette ab und brachte den Luftballon zum Platzen. Päng! Alle lachten. Kreidebleich ging Ursula zum Ausgang. Maria lief hinter ihr her. Um sie zu trösten, berührte sie sie am Arm. Es war die erste Berührung der Schwestern seit Jahren.

10. Kapitel
    Statt Katrin nach dem genauen Datum zu fragen, legte Bernhard den Tag, an dem seine Tochter volljährig werden würde, willkürlich fest. Rechtzeitig vorher bestellte er eine mit einem U, einer Eins und einer Acht verzierte Torte. Dem Konditor machte im Haus «Diana» niemand auf. So lieferte er die Torte bei Katrin ab. Die hatte einen ihrer schlechten Tage und nahm den himmelblauen Karton mit den Worten in Empfang: «Der ist für mich! Schließlich hatte ich damals die Wehen und die ganze Scheiße.»
    Als sie später, erfrischt durch einen starken Kaffee, mit einer Suppenschüssel ins Jagdhaus ging, fand sie Bernhard zusammengesunken in seinem Ohrensessel. Katrin erschrak nicht, sie fühlte einen lauen Schmerz als letzte Ahnung einer längst vergessenen Liebe. «Es hat ihn erwischt», dachte sie und näherte sich ihm auf Zehenspitzen. Da sah sie, dass sich seine Brust unter einem Seufzer hob.
    Bernhard hatte, möglicherweise als Spätfolge einer verschleppten Tropenkrankheit, einen Infarkt erlitten. Gegen seinen Willen kam er in ein Krankenhaus. Die Ärzte versuchten, ihn zu überzeugen, dass er von Glück sagen könne, die Embolie überlebt zu haben, und entwickelten eine auf sein Gewicht und sein Alter abgestimmte Bewegungstherapie. Er erklärte jedem, der an sein Bett trat, die Vorstellung von einem Blutgerinnsel in seinen Adern sei ihm ekelhaft, und im Übrigen sei das Krankenhaus mit seinen Ritualen und seinen Instrumentarien, den Nadeln, Schläuchen und dem Operationsbesteck trotz des Kruzifixes an der Wand ein Vorhofder Hölle. Er verlangte nach Schlaf- und Beruhigungstabletten, um die Tage nicht bei klarem Bewusstsein erleben zu müssen.
    Nicht viel besser fühlte er sich in dem Sanatorium, in das er überführt wurde, als sein Zustand sich stabilisiert hatte. («Verbracht», schrieb er in sein Tagebuch, als handelte es sich um einen Gefängnisaufenthalt. «Es wäre nur folgerichtig, wenn ich hier eine Nummer auf der Brust tragen müsste, wie ein Inhaftierter.»)
    Er vertrieb sich die Zeit mit dem Zeichnen der schlaffen Hände gebrechlicher Patienten und zum ersten Mal einiger Selbstporträts. Dafür beobachtete er sich stundenlang in einem Spiegel und meinte, in seinem Gesicht Anzeichen einer maskenhaften Starre zu entdecken.
    ***
    Auf seinem Schreibtisch zu Hause fand sich die Kopie einer handschriftlichen Verfügung, mit der Bernhard seinen Bankier anwies, seiner Tochter Ursula monatlich einen Betrag auszuhändigen, der so bemessen war, dass sie davon ein Studium an der Universität aufnehmen und alle laufenden Kosten bezahlen konnte.
    Ursula holte sich bei ihrer alten Klassenlehrerin Rat. «Wenn du mich fragst, geh nach München! Ich hab dort studiert, es war eine wundervolle Zeit: der Fasching, die Biergärten, die Dult, der Viktualienmarkt.» Sie lachte. «Nein, im Ernst: Die Ludwig-Maximilians-Universität wird dir gefallen, sie hat einen hervorragenden Ruf. Und was immer du studierst, du gerätst in München an die besten Professoren. Allen voran Wickenburg. Er ist eine Koryphäe. Ich habe ihn damals geradezu verehrt und keine seiner Vorlesungen ausgelassen. Außerdem wird es dir guttun, mal in einer richtigen Großstadt zu leben.»
    Sie

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