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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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«Summa cum laude» zu gratulieren, würde ein Foto von ihr machen.
    ***
    «Ist hier noch frei?» Ursula stand, die eben erworbenen Kolleghefte unter dem Arm, in einem kleinen Café hinter dem einzigen freien Stuhl. An den Tischen wurde lautstark und erregt diskutiert, als hätte man gerade von einer schockierenden Neuigkeit erfahren. Eine junge Frau sprang auf, um sich besser Gehör zu verschaffen, rief etwas, das Ursula nicht verstehen konnte, rief es noch einmal, worauf eine Gruppe in einer Ecke des Raumes mit einem «Buuh!» antwortete, dann aber lachte und die Teetassen schwenkte, als wollte sie auf eine gelungene Pointe anstoßen.
    Erst als sie ihre Frage wiederholte, blickte der Mann zu ihr auf und betrachtete sie durch eine Nickelbrille. Er war ein paar Jahre älter als sie, hatte mittelblonde Haare und trug ein Hemd, auf dem Ursula schneebedeckte Berge und einen von Tannen gesäumten See mit übertrieben blauem Wasser erkennen konnte. «Die Rocky Mountains», sagte er. «O.k.! Setz dich! Worauf wartest du?» Er legte das Buch beiseite, in dem er unbeeindruckt von dem Lärm gelesen hatte. Ursula zog ihre Jacke aus, hängte sie über die Stuhllehneund wusste dann nicht weiter. Gab es eine Kellnerin, bei der man etwas zu trinken bestellen konnte? Was war hier üblich?
    «Ich heiße Phillip, zwei ‹L›, ein ‹P›. Ich komme aus Oregon. Und wo kommst du her?» – Er sprach mit einem Akzent, wie er das ‹R› rollte, gefiel ihr. «Ich komme aus dem Hunsrück.» Und als wäre diese Auskunft unzureichend: «Aus Rheinland-Pfalz.» – «O.k.», sagte Phillip. «Habe ich nie gehört. Aber du warst wahrscheinlich auch noch nie in Oregon. Wir haben die höchsten Bäume der Welt. Sie heißen Redwoods. Manche haben so dicke Stämme, dass zehn Mann sie nicht umarmen können. Kannst du dir das vorstellen?» Wieder wurde es lauter. Die Stimmen an den Nachbartischen überschlugen sich wie in einem irren Chorgesang. Ursula zog die Schultern hoch: «Was ist hier los? Worum geht es? Warum schreien alle so?» – «Sie wollen einen Hörsaal besetzen, können sich aber nicht einigen, bei welchem Professor sie die Vorlesung sprengen wollen.» – «Sprengen?» – «O.k., blockieren. Ein Hörsaal mit hundert Plätzen wird von hundertfünfzig Leuten besetzt. Der Professor muss sich durchkämpfen, er muss über die steigen, die am Boden sitzen. Währenddessen klatschen alle Beifall. Wenn er vorne angekommen ist, hagelt es Fragen. ‹Was bezwecken Sie mit Ihrer Vorlesung? Was halten Sie von einem Mitbestimmungsrecht der Studenten? Haben Sie schon mal was von einer Hochschulreform gehört?› So in dem Stil. Wenn du mich fragst, die Studenten schaden nur sich selbst. Ich bin nicht politisch.»
    Phillip erzählte Ursula, dass er eine Assistentenstelle an der Uni habe. «Für insgesamt drei Jahre. Schlecht bezahlt, aber das ist schon o.k. Beim alten Wickenburg. Hast du von ihm gehört? Ja? Kein Wunder, er ist eine Leuchte, hat ein unglaubliches Wissen. Wickenburg ist ein Synonym für Disziplin. Bei ihm herrschen noch geordnete Verhältnisse.» – Wie auf ein verabredetes Zeichen standen sie gleichzeitig auf, traten hinaus auf die Straße, erneute Buh-Rufe der Gruppe aus der hinteren Ecke im Ohr. Die Aufregung im Lokal warkurz vor ihrem Höhepunkt. Sie schlenderten in Richtung Isar. Das war Phillips Idee. Ursula war alles recht, diesmal sagte sie «o.k.». Die frische Luft tat gut, langsam löste sich der Druck auf ihren Ohren. Im Nachmittagslicht strahlten die Türme der Ludwigskirche.
    Phillip kannte sich aus, es war angenehm, ihm zuzuhören. Er sprach über die Herrschaft der Wittelsbacher, Barockfassaden, die Schwabinger Bohème, Parkanlagen im englischen Stil und von einer Zeit, in der man Geschmack an fernöstlichen Formen und Farben fand. Ursula dachte an die Postkarte, die sie gekauft hatte. Ihrem Vater würde sie schreiben: «Unter einem blauweißen bayerischen Himmel spaziere ich mit einem Amerikaner durch einen englischen Garten und schaue auf einen chinesischen Turm.» Sie war neugierig auf die Stadt, für die sie sich entschieden hatte, und hätte gern Phillip noch einige Fragen gestellt. Aber er wechselte das Thema: «Deine Jacke gefällt mir. Sie erinnert mich an die Jacken, die bei uns zu Hause die Holzfäller tragen. Sie sind sehr praktisch und unverwüstlich. Hat deine auch ein Futter, das man einknöpfen kann, wenn es kalt wird?» – Das war freundlich, vielleicht sogar als Kompliment gemeint. Als sie noch

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