Der Maskensammler - Roman
starrte auf die bläulich züngelnden Flammen. Die Schwestern stritten. Erst ein paar Rempeleien, ein «Blöde Kuh!» und «Selber blöde Kuh!». Maria verzog trotzig das Gesicht: «Die Mama sagt, dein Papa spinnt.» – «Und deiner ist ein Verbrecher, der ins Gefängnis gehört.» – Als Maria nach ihr trat und sie am Schienbein traf, drehte Ursula durch. Sie versetzte der Puppe einen Stoß, dass sie ins Feuer flog. Ihr Perlonkleidchen fing sofort Feuer, ihr Kopf blähte sich und schmolz zu einem schwarzen Klumpen. Susi verbrannte. Maria war starr vor Entsetzen, Hass und Schmerz. Wortlos rannte sie weg und fing erst hinterm Schuppen an zu heulen. Rache! Sie würde sich rächen für den Mord an Susi.
Maria wartete. Wenn sie die Schwester sah, verengten sich ihre Augen zu einem Schlitz. Sie vergaß den verkohlten Puppenkörper nicht. Ursula war jetzt ihre Feindin. Sie würde es ihr heimzahlen, der Tag würde kommen.
Im Frühling erschien der Kaminkehrer mit Eisenkugel und -besen. Er entfernte ein Dohlennest aus dem Kamin des Jagdhauses. Die Reste schmiss er samt den noch nicht flüggen Jungen auf einen Haufen Abfall. Drei waren tot, dem vierten rettete Ursula das Leben. Sie war seine Krankenschwester, sie wurde seine Mutter. Sie wärmte es in ihren Händen und fütterte es liebevoll. Zu ihrer großen Freude wuchsen dem Vogel Federn, er flatterte in ihrem Zimmer herum und begrüßte sie mit aufgesperrtem Schnabel, wenn sie ihm Raupen und Würmer brachte. Sie wollte ihm Sprechen beibringen,sie wollte, dass er auf sie hörte, sie wollte ihm ihre Geheimnisse anvertrauen, sie wollte … Doch zu all dem kam es nicht. Als sie ihr eines Tages hart gekochtes Eigelb brachte, lag die junge Dohle tot auf dem Boden. Aus ihrem aufgerissenen Schnabel zog sie ein rosafarbenes Bällchen. Maria hatte ihr einen Kaugummi tief in den Hals gesteckt, sie war erstickt.
Jetzt herrschte offener Hass zwischen den Schwestern.
***
Nach langer Pause kam Ulrich zu Besuch. Von seinem Erfolg nicht nur als Arzt in der besseren Berliner Gesellschaft brauchte er kein Aufhebens zu machen, den sah man ihm an. Seine Wangen und Handwurzeln dufteten nach Sandelholz, die ersten grauen Schläfenhaare waren unauffällig gefärbt. Matt glänzten seine polierten Fingernägel, als er Bernhards Aquarelle und Kohlezeichnungen ins Licht hielt. Er betrachtete sie mit Wohlgefallen. «Ich finde gut, dass du wieder angefangen hast zu malen. Und was die Kleine anbelangt: Ich muss sagen, sie macht sich.» Als Aufmerksamkeit hatte er für Ursula eine hübsch verschnürte Schachtel mit Katzenzungen im Gepäck. Er überreichte sie ihr mit einer galant angedeuteten Verbeugung. «Er ist ein Genie, nur weiß er es nicht», sagte er zu ihr, aber so, dass Bernhard es hörte. Ursula, anfangs eifersüchtig auf den Gast, fühlte sich geschmeichelt, dass Ulrich sie wie eine Erwachsene behandelte. Sie ließ es sich gefallen, dass er sie auf die Stirn küsste.
Wenn die beiden Männer vorm Kamin saßen und Geschichten aus alten Zeiten erzählten, bereitete nicht Katrin, sondern sie das Abendessen vor. Sie tat es gern. Ulrich lobte bei Tisch ihre Kochkünste und rauchte zwischen den Gängen dünne, überlange Zigaretten aus einer Elfenbeinspitze.
Kurz vor Ulrichs Abreise kam es zu einem peinlichen Zwischenfall.Katrin stürmte spät am Abend unangemeldet herein. Schwankend blieb sie im Türrahmen stehen. «Ich will sehen, was ihr mit dem Mädel macht», schrie sie. Die Männer blickten indigniert. Ursula spülte gerade in der Küche ab. Katrin riss ihr die Pfanne aus der Hand und packte sie: «Du kommst jetzt mit! Auf der Stelle!» – Ulrich runzelte die Stirn. «Man sollte der Frau das Sorgerecht entziehen.» Bernhard nickte.
Katrin intrigierte. Mit einer bösartigen Lust spielte sie Ursula und Maria gegeneinander aus. «Auf dich kann ich mich verlassen, du bist viel vernünftiger als deine Schwester», sagte sie. Oder: «Wenn ich eines Tages weggehe und nur eine von euch beiden mitnehme, dann bestimmt dich und nicht deine Schwester.» Wenn Ursula und Maria stritten, stachelte sie mal die eine, mal die andere an: «Lass dir von der nichts gefallen!»
Die Feindschaft hielt an. Für Jahre begegneten sich die Schwestern mit kalten Blicken und sprachen kein unnötiges Wort miteinander.
***
An ihrem fünfzehnten Geburtstag wollte Maria ins «Blue Moon» tanzen gehen. Andere Mädchen aus ihrer Klasse taten das auch. Katrin stellte Bedingungen: «Erst wird das Haus geputzt … Und
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