Der Maskensammler - Roman
Schrecken einjagen, dass sie sofort aus Vietnam abziehen. Das ist für uns eine Nummer zu groß.» – «Er hat recht», sagte der andere. «Ich bin Pazifist und als solcher gegen jeden Krieg, egal wer ihn anzettelt. Aber unser Hauptfeind ist nicht dieser Westmoreland, unser Hauptfeind ist hier und überall in der BRD die Springer-Presse mit ihren Hetzkampagnen.» Man hörte das Kratzen von Löffeln auf Porzellan. «Kennt ihr den Artikel, mit dem die ‹Welt› uns zu diffamieren versucht? Ich lese ihn euch vor: ‹Wir haben es hier mit einer akademischen Variante des Gammlertums zu tun. Mit der … Ungewaschenheit als Mittel, fehlende Geltung und Mangel an Persönlichkeit durch Bürgerschock zu ersetzen, entstand eine noch viel unangenehmere Parallele der vorsätzlich geistigen Ungewaschenheit.› Leute, damit sind wir gemeint!»
Empörtes Murmeln. Gerd sprang auf: «Das lassen wir nicht auf uns sitzen, das zahlen wir denen heim!» Er schlug so heftig auf den Tisch, dass die leeren Gläser tanzten. Dann wusste er nicht weiter. Eine Pause entstand. «Wo ist eigentlich Holger?» Das war Rosa. – «Er verbringt einen ruhigen Abend an einem sicheren Ort. Hier bei uns, das wäre nach der Aktion heute zu gefährlich gewesen. Die wissen, dass er in der Stadt ist, und suchen hektisch nach ihm. Vielleicht kommt er morgen Abend vorbei.»
Bier machte die Runde, man nahm einen Schluck aus der Flasche und reichte sie weiter. Als sie bei Ursula ankam, war sie leer. Sie hielt die Flasche hoch, als wolle sie den anderen zuprosten, und sagte: «Ich heiße Simone.» – Alle schauten sie erstaunt an, als merkten sie jetzt erst, dass da noch jemand war. «Die Beauvoir!», rief Rosa. «War mein Vorschlag!» Sie drückte Ursula einen Kuss ins Gesichtund eine volle Flasche Bier in die Hand. «Der erste Schluck mit dem Schaum ist für dich!» – «Die Revolution ist schön, macht aber viel Arbeit», sagte Kalle und rülpste vernehmlich. «Ich werde mich Karl nennen, nicht wie Marx, sondern wie Valentin. Er ist für mich der Größte, der erste wahre Anarchist.» Als wäre nach diesem Bekenntnis der offizielle Teil vorbei, zog er seine Mütze aus und gähnte. Gerd setzte sich neben Ursula, legte ihr die Hand aufs Knie und sagte: «Du kannst heute Nacht unmöglich in deine Pension gehen. Als du die Flugblätter verteilt hast, haben sie Fotos von dir gemacht. Die werden gerade ausgewertet. Du kommst jetzt auf die schwarze Liste, ‹Widerstand gegen die Staatsgewalt›. Wenn du willst, kannst du bei mir schlafen.» – «Ach, Mädchen, lass dich nicht einschüchtern. Dir passiert schon nichts», sagte die Frau mit den hennaroten Haaren. Und zu Gerd: «Warum machst du ihr Angst? Sag doch offen, worum es dir geht.»
***
Rock und Strümpfe streifte sie ab, die immer noch feuchte Bluse ließ sie an, legte sich auf die Matratze und zog die Decke hoch bis zum Hals. Gerd ließ sich Zeit. Seine Jeans legte er ordentlich auf einen Stuhl, knöpfte, als wolle er ein Geheimnis enthüllen, sein Hemd auf, zeigte seine behaarte Brust, zupfte an der Unterhose, stand schließlich nackt vor dem Spiegel und strich sich über seine Hinterbacken. Von dem kleinen Zipfel ihres Bruders abgesehen, hatte Ursula noch nie den Penis eines Mannes gesehen, jetzt hing er bedrohlich nah über ihr, sein Anblick war ihr unangenehm. «Was soll das?», dachte sie und wollte sich wegdrehen. Aber Gerd griff nach ihr und hielt sie fest. «Simone, ich bin dein Jean-Paul», sagte er. «Entspanne dich!» Er presste seinen Mund auf ihren und versuchte, mit seiner Zunge ihre Lippen zu öffnen. «Du machst es ganz schön spannend!» Seine Stimme war verändert: Mit einemGrunzton fuhr er unter ihre Bluse und drückte ihre Brust. «Au, du tust mir weh!» – «Was stellst du dich so an», sagte er und schien die Lust zu verlieren.
Ursula wollte gerade aufatmen, da schob er ein Knie zwischen ihre Oberschenkel und legte sich schwer auf sie. Sie roch seinen Achselschweiß und dachte: «So also ist das.» Finger wanderten an ihr nach unten, wühlten sich durch ihre Schamhaare, fanden ihr Ziel. Sie presste die Augen zu, als könne sie das schützen. Bilder flogen ihr durch den Kopf: Die Mutter zieht ihr das Nachthemd hoch, spreizt ihr die Beine und schiebt ihr das stumpfe Ende eines Schlauches in den Po. Ein Einlauf, eine Darmspülung, ein Liter warmes Salzwasser fließt in ihre Därme. – Ihre Mutter und Jean-François streiten. Rasend vor Wut tritt die Mutter nach ihm, trifft sein
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