Der Maskensammler - Roman
«Allerheiligstes». Er krümmt sich. Als der Schmerz nachlässt, schlägt er mit Fäusten auf sie ein. – Spät in der Nacht sitzt ihre Mutter in Unterwäsche auf dem Sofa. Sie massiert die Spitzen ihrer Brüste mit einer Zahnbürste. Sie stöhnt auf, als sie sich den Stiel der Bürste zwischen die Beine schiebt. – Ursula schreckte auf, als sie den Stich spürte. «Das war’s», dachte sie, aber Gerd geriet in Fahrt, stieß jetzt heftig zu, schnellte plötzlich zurück und spritzte weißlichen Schleim auf ihren Bauch. Dann wieder der Grunzton, er wälzte sich von ihr runter.
Ursula lag starr vor Ekel. Ihr war kalt, um die Hüften hatte sie ein taubes Gefühl. Sie war zu erschöpft, um sich aufzurichten, zu erschöpft, um einzuschlafen. Irgendwann stand Gerd auf. Er kam mit einem Handtuch zurück. «Wisch dich ab! Sonst läuft die Soße noch aufs Leintuch.» Er beobachtete sie. Plötzlich rief er: «Mensch! Schau dir das an! Alles voll Blut! Das gibt’s doch nicht! Warst du etwa noch Jungfrau? Verdammt, das hättest du mir sagen müssen!»
Die Kälte breitete sich in ihrem Unterleib aus, während sich auf ihrer Stirn kleine Schweißperlen bildeten. Erst gegen Morgen beruhigtesie sich. Im Aufwachen nahm Gerd sie in den Arm und schmiegte sich an sie. Sein Körper war schlafwarm. Es kam so unerwartet, dass sie zusammenzuckte, aber es gab ihr den Mut, einen Satz zu sagen, den sie bereute, noch bevor sie ihn ganz ausgesprochen hatte: «Gehören wir jetzt zusammen?» – Die Antwort kam prompt: «Das ist eine typisch bourgeoise Denke. Wir sind frei, wir gehören niemandem. Wir kämpfen für eine fortschrittliche Gesellschaft ohne Besitzansprüche. Du musst dein Bewusstsein von Grund auf ändern.» – Beim letzten Satz rutschte seine Stimme in eine andere Tonlage. «Klingt wie mit Megafon vor versammelter Menge», dachte Ursula. Tatsächlich gab Gerd beim Frühstück «das Bewusstsein von Grund auf ändern» allen als Tageslosung mit auf den Weg.
***
«War’s schön?», fragte Rosa. Als sie merkte, dass sie den falschen Ton getroffen hatte, sah sie Ursula geradezu liebevoll an und sagte: «Du fühlst dich beschissen, man sieht’s. Gerd ist ein übler Egoist. Er nimmt sich, was ihm guttut. Für echte Gefühle ist angesichts der großen revolutionären Ziele kein Platz. Wer zweimal mit derselben pennt …» Sie lachte. «Jede hier hat so ihre Erfahrungen gemacht. Mein Rat: Halt dich an die Frauen!»
Ohne dass sein Name noch einmal fiel, war allen klar, dass Holger kommen würde. Nur Gerd wusste, wann genau. Er würde ihm ein Stück entgegengehen, an einer Straßenecke auf ihn warten. Holger würde ohne zu grüßen an Gerd vorbeigehen. Der würde so lange stehen bleiben, bis sicher war, dass niemand Holger verfolgte. Durch einen Pfiff würde er Entwarnung geben, erst dann würde Holger im Haus der Wohngemeinschaft verschwinden. Bei Gefahr würde Gerd Holger durch einen zweifachen Pfiff warnen. Holger würde dann weiterschlendern, runter bis zur Haltestelleund dort auf die nächste Straßenbahn springen. So war es von Gerd geplant. Es war seine Idee.
Gerd kam unverrichteter Dinge zurück. Holger war zur verabredeten Zeit nicht erschienen. Es war Sonntag, die Kirchenglocken läuteten, Friede auf Erden, die Polizisten hatten einen Tag frei. Die Frauen beschlossen, zur Feier des Tages eine Kanne Kaffee zu kochen.
Das Wasser kochte noch nicht, da stand Holger im Flur. Keiner hatte ihn kommen hören. Noch in der Tür sagte er zu Gerd: «Dein Plan war gut, aber zu kompliziert. Ich bin ganz einfach ein Stück durch die Stadt geschlendert, niemand hat mich verfolgt. München gefällt mir.» – Er gab zur Begrüßung keinem die Hand, er nickte nur in die Runde und setzte sich neben Ursula. «Du kommst vom Land, das seh ich dir an», sagte er leise, vertraulich, so, als sollten die anderen es nicht hören. «Vom Land, so wie ich. Meine Eltern waren Kleinbauern, arme Leute: ein paar Kühe, ein Schwein, Schafe, Hühner. Meine Mutter musste in der Molkerei aushelfen, sonst hätte es nicht gereicht.»
Jetzt sah er ihr ins Gesicht. Die Iris seiner Augen waren eisblau, darüber, kaum sichtbar, die hellen Härchen der Brauen. Beim Sprechen öffnete er den Mund mit den schmalen Lippen nur wenig, aber er sprach klar und eindringlich. Seiner Stimme konnte man sich nicht entziehen. Wäre er ihr mit politischen Parolen gekommen, Ursula wäre aufgestanden und hätte sich neben Rosa gesetzt. Aber er sagte: «Ich habe als Junge Hasen
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