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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wellenförmige, dann kreisrunde Bewegung, Striche, wie die Strahlen einer Sonne, in alle Richtungen, dann zwei Buchstaben. Ein Schauder lief ihr das Rückgrat entlang, sie hielt den Atem an, um die Nachricht zu entziffern: DU. Die Fingerkuppe huschte tiefer, hielt auf halber Strecke inne, verstärkte leicht den Druck und schrieb jetzt deutlich die beiden Buchstaben: DU. Als wieder die runde Bewegung einsetzte und Tropfen zeichnete, die in die Furche zwischen ihren Hinterbacken fließen wollten, und sie dieses warme Ziehen fühlte, wendete sie sich dieser Bewegung zu. Sofort zuckte die Hand zurück, aber Ursula griff nach ihr, überwand den Widerstand und legte sie unter ihre Hand auf ihren nackten Bauch.
    Es klingelte Sturm. «Aufmachen, Polizei!» Da, ein Schlag gegen die Wohnungstür, darauf wütendes Hämmern. Starr vor Schreck richtete Ursula sich auf, sie hörte ein splitterndes Geräusch, dann einen Knall, der ihr wieder diesen salzigen Geschmack auf die Zunge trieb. Dann Stiefeltrampeln auf dem Flur, gebrüllte Befehle, Flüche, ein dumpfes Krachen, irgendwas stürzte zu Boden.
    Holger war mit einem Satz bei seiner Hose, steckte sich ein zusammengeknäultes Stück Papier in den Mund, horchte. Als die Tür aufsprang, riss er das Fenster auf, ging in der Öffnung in die Hocke, und als ein Polizist ihn greifen wollte, sprang er.
    Ursula hielt sich die Ohren zu und schrie: «Nein! Nein!» Das war zu viel, sie schlug um sich, rief den Namen ihres Vaters, aber das war nicht mehr sie, sie musste jetzt zubeißen und ihre Krallen in die Hand schlagen, die sie gepackt hatte. Der Mann riss ihren Kopf zurück, drehte ihr den Arm auf den Rücken und zerrte sie so aus dem Zimmer.

12. Kapitel
    Dem Aufenthalt in einem Sanatorium sah Bernhard wie einer unbegründeten Strafe entgegen. Schon während der Tage im Krankenhaus, in denen er noch geschwächt unter dem Einfluss von Medikamenten keinen klaren Gedanken fassen konnte und in seinem halb wachen Zustand die Vorstellung entwickelte, er wäre eine dem Wechsel von Flut und Ebbe ausgesetzte Alge, hatte ihn eine wehmütige Mattigkeit überfallen, die nichts anderes war als die Sehnsucht nach seinem Haus, dem Dämmerlicht seines Arbeitszimmers und vertrauten Geräuschen, wie dem Knarren der Dielen oder dem Klappern der Schlagläden bei Wind. Willenlos ergab er sich in die Gewalt einer Krankenschwester, die jede Auskunft über die Nebenwirkungen der Pillen, die er schlucken musste, gekränkt verweigerte, und eines weißhaarigen Arztes, der sich auf keine Diskussion einließ: «Ich empfehle Ihnen dringend den Aufenthalt in einem Sanatorium. Sechs Wochen Minimum. Sie müssen unter ärztlicher Aufsicht bleiben. Alles andere wäre unverantwortlich.» Das Sanatorium war auf einer Anhöhe am Rande der Berge gelegen. Er hatte ein helles, geräumiges Zimmer mit Blick auf einen gepflegten Garten, in dessen Mitte auf einem Sockel eine lebensgroße, nur mit Schnürsandalen und Bändern im Haar bekleidete junge Frau in Bronze mit ekstatisch erhobenen Armen dem Haus entgegeneilte. Als er nach einigen Tagen einsah, dass sein Widerstand gegen die neue Umgebung unbegründet war, bat er den Hausmeister um einen Tisch und einen Spiegel, den er an die Stelle eines verblassten Farbdrucks von Paul Klees «Im Zwischenreich» hängte.
    Die anderen Patienten waren ganz so, wie er befürchtet hatte: ältlich, in der Mehrzahl Frauen, die sich die Zeit mit kleinen Intrigen vertrieben und ungefragt ausführlich über Einzelheiten ihrer Leiden redeten, von denen Bernhard nichts wissen wollte. Es war für ihn ein Anfang, die Mahlzeiten im Speisesaal einzunehmen. Er hatte zwar den Tisch einunddreißig für sich allein, aber es war üblich, nach dem Hauptgericht mit einem «Gestatten» oder «Es ist Ihnen doch sicher recht …» an einem anderen Tisch Platz zu nehmen. So bekam er im Wechsel zum Dessert Besuch von zwei Frauen, die ihr Leben vor ihm ausbreiteten, ohne je nach seinem zu fragen. Aus Angst vor weiteren Enthüllungen mied er gesellige Abende und ließ sich die Dichterlesung, den aus Funk und Fernsehen bekannten Unterhaltungskünstler und das Quartett entgehen, das mit Musikstücken von Mozart, Liszt und Strawinsky auftrat. Er hatte nur wenige Bedürfnisse, der Wunsch nach Unterhaltung und Geselligkeit gehörte nicht dazu. Die Tischnachbarinnen wunderten sich über seine Interessenlosigkeit.
    Um sich den Eingewöhnungsprozess zu erleichtern, stellte Bernhard sich vor, er befände sich wie damals auf

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