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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Niemand erzählte ihr, dass Holger sich bei seinem Sprung aus dem Fenster lediglich einen Fuß verstaucht und es geschafft hatte, durch den Hinterhof zu entkommen.
    In einem Vorort fand sie ein möbliertes Zimmer in einemWohnblock, dessen Bewohner sich auf den Fluren und im Treppenhaus nicht grüßten. Mit ihrem Koffer aus Presskarton zog sie ein. Noch bevor sie ihre anderen Habseligkeiten auspackte, holte sie die Libelle aus der Schachtel mit den abgestoßenen Kanten, heftete sie an den Schirm ihrer Nachttischlampe und betete zu ihrem Vater: «Hilf mir! Bitte hilf mir!» Aber sie traute sich nicht, ihm zu schreiben, was ihr passiert war. Mit wirren Gefühlen dachte sie an ihre Mutter, von der sie Wärme und Geborgenheit nie bekommen hatte. Sie sprach deren Namen vor sich hin, «Katrin», er hatte einen fremden Klang, als hätte sie ihn bisher nie gehört. An ihre Geschwister dachte sie nicht. Im Spiegel sah sie ein blasses, verängstigtes Wesen mit tief liegenden Augen und einer zu groß geratenen Nase. Sie ließ sich eine neue Frisur schneiden, einen Bubikopf.
    Ursula färbte sich die Haare und Augenbrauen, schminkte die Lippen und legte Lidschatten auf, Schwarz wurde ihre Lieblingsfarbe. Sie hatte immer eine glatte, fleckenlose Haut gehabt, aber jetzt bildeten sich auf ihren Wangen und auf der Stirn hartnäckig rote Punkte, die sie auszupressen versuchte. Wenn sie die drei Stockwerke zu ihrem Zimmer hinaufstieg, wurde ihr schwindelig. Sie hustete. In den Hörsälen war sie fast unsichtbar. Sie suchte sich in den hinteren Reihen einen Platz, möglichst ganz außen, als müsse sie den Fluchtweg kurz halten. In der Erinnerung an die Nacht mit Gerd war ein scharfkantiges schwarzes Loch geblieben, das sie in Gedanken zu berühren vermied. Sie wusch sich mit kaltem Wasser, sonst berührte sie ihren Körper nicht. Als müsste sie auf der Hut sein, hielt sie zu allen Abstand. Auf den Straßen, auf dem Universitätsgelände sprach sie keiner an, niemand blickte hinter ihr her. Sie sah im Kino einen Film, in dem außerirdische Wesen auf der Erde landeten. Außerirdisch, so kam sie sich vor.
    ***
    In der Mensa lernte Ursula eines Tages Ines kennen. Es ergab sich ohne ihr Dazutun. Ines setzte sich zu ihr an den Tisch, blickte sie an und stellte eine Frage, auf die Ursula keine Antwort wusste: «Was ist mit dir los?» Dann trank sie einen Schluck und sagte: «Du siehst so … so traurig aus.» – «Ich hatte einen Unfall», log Ursula und hätte damit am liebsten das Gespräch beendet. Aber Ines fragte weiter: «Was denn für einen Unfall?» Das klang besorgt. Ursula malte mit dem Zeigefinger eine Spirale auf die Tischplatte und blickte an Ines vorbei: «Ach, nichts! Es war kein Unfall.» Als sie merkte, dass ihr die Tränen kamen, schluckte sie und sagte schnell: «Ich bin da in eine blöde Sache reingeraten. Ich hatte Ärger mit der Polizei.»
    Als sie vor dem Polizeigebäude stand, hatte sie gewusst, dass das Schlimmste überstanden war. Sie war frei. Aber eine Erinnerung hatte sich wie ein Geschwür in ihr festgesetzt: die Nacht mit Gerd. Er hatte sie benutzt, um sich zu befriedigen. Er hatte ihr Gewalt angetan, eine Gewalt, die sie tiefer verletzte als die Fragen der Polizisten. Sie meinte, seinen Achselschweiß und das Sperma auf ihrem Bauch zu riechen. Ekel schüttelte sie. Nie wieder würde sie sich für so etwas hergeben. Wenn sie daran dachte, wie er sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie gelegt hatte, wurden ihre Beine starr vor Kälte, sie zitterte und konnte nicht verhindern, dass sie von Schauern geschüttelt wurde.
    Als führte sie ein Selbstgespräch, erzählte Ursula der fremden Frau ihre Geschichte. Mit jedem Satz ließ der Druck nach. Sie fühlte sich leichter; während sie sprach, schmolz der Klumpen auf ihrer Zunge. Sie holte tief Luft und atmete mit einem Seufzer aus. Ausgehend von der Wirbelsäule durchzog sie eine wohltuende Wärme.
    Im Aufstehen strich Ines ihr über die Hand und sagte, um keine Peinlichkeit aufkommen zu lassen: «Nimm’s nicht so tragisch. Du hast nichts Unrechtes getan.» Damit legte sie ihren Arm um UrsulasSchulter, drückte sie kurz an sich, wie um ihr Mut zu machen, trat dann einen Schritt zurück und nannte ihren Namen. «Ich bin Dozentin für Kunstgeschichte. Komm mich mal im Institut besuchen. Ich würde mich freuen.»
    Ines war zwanzig Jahre älter als Ursula. Sie war kräftig, hatte breite Schultern, helle, blaue Augen und einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Sie trug die

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