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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Gefühlsschock, die Geräusche der Straße erschienen ihr heftiger, die Farben greller. Ines führte sie bis vor die Haustür und sperrte schweigend auf. Ursula sah, wie sie ihre Aktentasche abstellte, die Vorhänge zuzog, sah ihr Gesicht nah vor dem ihren und blickte ihr in die weit geöffneten Pupillen, während Ines anfing, sie auszuziehen. «Wie dünn du bist!» – Dann öffnete Ines eine Gürtelschnalle, zog an einem Reißverschluss, und Stück für Stück fielen auch ihre Kleider auf den Boden. Ursula drückte sich an den fremden Körper. Sie betasteten sich, strichen behutsam mit den Fingerspitzen über die Haut der anderen, erst zögernd, dann mit wachsender Sicherheit. «Schau mal hier, bei mir!» – «Und bei mir erst!» Sie lachten. «Du hast einen viel knackigeren Po als ich.» – «Und du hast schönere Füße.» Als Ines sie berührte, erschauderte Ursula. Das war, was sie immer gewollt hatte, ohne es sich einzugestehen.
    Von jetzt an verbrachten sie jedes Wochenende zusammen. Oft waren sie so sehr miteinander beschäftigt, dass sie die Wohnungnicht verließen. Sie saßen zusammen in der Badewanne, wuschen sich wechselseitig unter der Dusche die Haare, feilten die Zehennägel, massierten sich die Verspannungen aus den Schultern – was sie auch taten, alles mündete in neuen Zärtlichkeiten.
    Ursula verlor ihre Scheu. Dass sie eine Frau liebte, sich ihr hingab, erschien ihr fraglos richtig und selbstverständlich. Sie empfand eine Lust, die sie ihrem Körper nicht zugetraut hätte. Wenn sie zu laut wurde, hielt ihr Ines den Mund zu.
    ***
    Zum dreißigtägigen Jubiläum brachte Ines Sekt mit. Sie drehten die Musik auf: «I can get no … satisfaction.» Sie tanzten. Wild sprangen sie durchs Zimmer, ausgelassen und schwitzend. Atemlos schüttelte Ines die Flasche und bespritzte Ursula, als hätte die gerade ein Autorennen gewonnen. Hastig tranken sie den Sekt. Yeah! Mehr! Mehr! «I can get no …» Ines bäumte sich auf, ließ sich taumelnd auf Ursula fallen, saugte sich wie von Sinnen am Hals von Ursula fest, riss ihr das nasse Hemd vom Leib und biss sie in die Brust. Einmal, zweimal, dann kräftig. Ursula schrie auf vor Schmerz, zuckte zurück und stieß Ines vor den Kopf, als sie noch einmal zubeißen wollte.
    Ursula schlief in dieser Nacht in ihrem kleinen möblierten Zimmer. Ines hatte sich nach dem Vorfall im Bad eingeschlossen. Ursula hatte sie gerufen, aber als keine Antwort kam, war sie gegangen. Erst Tage später kam Ines auf den Vorfall zurück: «Du warst so … unversehrt. Ich wollte dich verletzen, ich musste es tun.»
    Unter der Kuppel der Einkaufspassage beim samstäglichen Treff erfuhr Ursula von dem Kongress in Berlin. Eine der Frauen hatte das Programm mitgebracht: Dauer drei Tage, Eröffnungsreferat und Abschlussresüme Ines Hallauer. «Ach ja, der Kongress», sagte Ines. «Dreißig Minuten soll ich da sprechen. Über die Rechte lesbischerFrauen. Wie langweilig! Hoffentlich kommt mir noch ein Geistesblitz, so etwas wie ein Leitgedanke.»
    Ursula war gekränkt, verzog aber keine Miene. Sie wollte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken lassen. Sie würde die Abwesenheit der Freundin nutzen, um ihre Mitschriften aus dem soziologischen Proseminar auszuarbeiten. Aber es kam anders. Im Rausgehen sagte Ines beiläufig: «Du kommst doch mit nach Berlin? Ich habe schon die Fahrkarten gekauft und ein Doppelzimmer für uns bestellt.» – Ursula antwortete nach kurzem Zögern mit einem Kopfnicken. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie sich freute.
    ***
    Nachdem klargestellt war, dass es sich bei dem Schuss in den Rücken um einen Unfall gehandelt hatte, ließ Manfred Gras über den Vorfall wachsen. Er saß an Katrins Küchentisch, nahm seine Gewehre auseinander, säuberte, ölte und polierte sie, bis der Stahl matt glänzte. Erst als er sicher sein konnte, dass ihn niemand mehr darauf ansprechen würde, ging er wieder zu einem Treffen der Schützenbrüder. Wie üblich, wenn keine Übungen angesagt waren, wurde zur Einstimmung in der Schießstätte Bier getrunken, dann marschierten sie, schon angeheitert, ins Freibad, «Ärsche gucken». Keiner fragte nach dem Kameraden, der jetzt im Rollstuhl saß.
    Im Umkleideraum hielt Manfred sich abseits, als Letzter zog er sein Hemd aus. Er genierte sich. Die anderen waren braungebrannt, er nicht. Auch hatte er keine Haare auf der eingefallenen Brust. Unvergessen die Schmach, als sie ihn das erste Mal in der Badehose sahen und ihn ausgelacht hatten

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