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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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waren, rief Herr Schäfer sie zu sich. Likör wurde nicht mehr ausgeschenkt, Maria musste sich vor ihm ausziehen und ihm die Hose öffnen, dann kam er gleich zur Sache. Die «Sonderschichten» des Fräulein Weinzierl beim Chef waren ein streng gehütetes Geheimnis, über das sich die Lageristen wie die Frauen in der Buchhaltung, die Fahrer wie der Trupp vom Außendienst hinter vorgehaltener Hand den Mund zerrissen.
    ***
    Es war die Zeit der Baukräne und Betonmischmaschinen, der Fernsehantennen und der vollen Strände in Rimini, der Leuchtreklame und der ersten Oben-ohne-Szenen im Film. – Für Maria sah der Fortschritt anders aus: Sie gab Hanni fünfzig Mark und durfte dafür auf deren ausziehbaren Sofa schlafen. Im Schrank hatte sie nur ein Brett für ihre Anziehsachen und musste sich die immer gleichen Geschichten der alten Frau anhören, die unter Schlaflosigkeit litt. Der erste Schritt in die Unabhängigkeit war klein, aber für sie von großer Bedeutung. Sie musste nicht mehr nach Hause fahren, ihre Mutter konnte von ihr aus der Wohnungseinrichtung Kleinholz machen, aber nicht aus ihr.
    Während im ganzen Land das Straßennetz ausgebaut wurde und auch entlegene Kleinstädte Autobahnanschluss bekamen, während Planierraupen Wiesen und Felder abräumten, um Platz für Neubausiedlungen und Gewerbegebiete zu schaffen, während alte Gebäude, die dem Fortschritt im Weg standen, aus dem Stadtbild verschwanden und Architekten ihre Bauvorhaben zweckmäßig und pflegeleicht in Sichtbeton planten, während die Menschen schneller lebten, schneller aßen, schliefen und ihre Toten vergaßen, tickten die Uhren im Haus «Diana» langsamer und blieben schließlichganz stehen. Alle Neuerungen machten an den Grenzen der riedererschen Grundstücke halt. Auf dem Zufahrtsweg stand kniehoch das Gras, zwischen den Pflastersteinen des Innenhofes wuchs Klee, und aus den Regenrinnen schossen Birkensprösslinge in den Himmel.
    Katrin sah den Verfall mit Einverständnis und quittierte ihn mit hämischem Lächeln. Ihr fielen die Haare aus, was machte es da schon, dass in der Küche die Dielenbretter faulten. Warum sollte sie die Fensterscheiben putzen; was es da draußen zu sehen gab, kannte sie eh schon. Aus Angst vor abfälligen Blicken auf den Straßen und dem Schweigen der Leute, wenn sie ein Geschäft betrat, fuhr sie nicht mehr nach Birkenfeld. Sie blieb zu Hause und wünschte sich, Manfred, ihr Burschi, wäre noch klein und sie könnte ihn auf ihren Schoß setzen oder Hoppe-hoppe-Reiter mit ihm spielen. Ihre Töchter, die eine wie die andere, hatte sie aus ihrem Leben gestrichen.
    Manfred entzog sich ihr. «Er ist ein Eigenbrötler. Er kommt auf mich», sagte sie sich. Zu ihm sagte sie: «Iss was!», und dachte dabei an seine eingefallene Brust und seine spitzen Hüftknochen. Er stocherte in dem Essen rum, das sie ihm vorsetzte, pickte nach Fleischstücken und sortierte Erbsen und Bohnen aus dem Gemüseeintopf und Rosinen aus dem Topfkuchen. Er tat es wortlos, den Blick auf den Tellerrand gerichtet.
    An den selbst gebastelten Fallen hatte er die Lust verloren, es gab keine Eidechsen mehr, und die Mäuse ließ er den Bussarden. Aus Astgabeln und Einmachgummis baute er jetzt Steinschleudern, mit denen er schon mal ein Eichhörnchen oder eine Elster vom Baum holte. Aber er träumte von Schusswaffen. Wenn er an Schusswaffen dachte, biss er sich auf die Unterlippe, bis sie blutete. Ein Geweih, das er sich aus dem Jagdhaus «besorgte», tauschte er gegen eine defekte Luftpistole ein. Er bastelte so lange an ihr herum, bis sie wieder funktionierte. Die Hosentasche hatte er vollspitzer Steinchen, die er sich nachts zurechtschliff, wenn wieder mal ein fremder Mann durchs Haus polterte. Jetzt schoss er auf Spatzen und Singvögel.
    Abseits im Wald, neben einem Ausbildungsgelände für Kampfhunde, lag die örtliche Schießstätte. Hier machte Manfred, noch bevor er das vorgeschriebene Alter erreicht hatte, seinen Waffenschein und wurde Mitglied im Verein der Schützenbrüder. Die Gebühr für den Schein und den Jahresbeitrag beglich er mit einer alten, aber noch intakten Jagdflinte, die der Vorsitzende als Entgelt für den Schreibfehler bei Manfreds Altersangabe an sich nahm. Wenn er durch Kimme und Korn auf den schwarzen Punkt in der Mitte einer Scheibe zielte, schlug sein Herz, aber seine Hand wurde ruhig. Beim Tontaubenschießen freihändig war er der Beste, der Vorsitzende heftete ihm eine Schleife an den Lauf seines Gewehrs. In der

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