Der Matarese-Bund
erwarten, daß sie sich normal verhält. Ich glaube, sie schafft es. Wir würden ja sehr bald wissen, wenn es nicht geht; wir können uns mit einem vorher vereinbarten Code sichern. Ganz offen – haben wir denn eine andere Wahl? Gibt es denn in irgendeiner Station einen Mann, dem Sie vertrauen könnten? Oder dem ich vertrauen könnte? Selbst außerhalb der Stationen, was Sie als ›Drohnen‹ bezeichnen; wer wäre da nicht neugierig? Wer würde Washingtons oder Moskaus Druck widerstehen?«
»Der Schock ist es, der mich stört«, sagte Bray. »Ich glaube, den hat sie schon erlitten, lange bevor wir sie trafen. Sie hat gesagt, sie wäre in Porto Vecchio gewesen, um einmal wegzukommen. Weg von was?«
»Dafür könnte es ein Dutzend Erklärungen geben. Überall in Italien herrscht Arbeitslosigkeit. Vielleicht hat sie auch keine Arbeit. Oder ein untreuer Liebhaber, eine Liebesaffäre, die schiefgegangen ist. Solche Dinge haben keine Beziehung zu dem, was wir von ihr verlangen würden.«
»Das sind auch nicht die Dinge, die ich vermute. Außerdem, warum sollten wir ihr vertrauen? Selbst wenn wir das Risiko eingingen, warum sollte sie annehmen?«
»Sie war dabei, als diese alte Frau getötet wurde«, sagte der Russe. »Das genügt vielleicht schon.«
Scofield nickte. »Ein Anfang ist das, aber nur, wenn sie überzeugt ist, daß es eine spezifische Verbindung zwischen dem gibt, was wir tun, und dem, was sie gesehen hat.«
»Das haben wir ihr doch klargemacht. Sie hat die Worte der alten Frau gehört; sie hat sie wiederholt.«
»Aber da war sie noch verwirrt, stand noch unter dem Eindruck des Schocks. Sie muß überzeugt werden.«
»Dann überzeugen Sie sie doch.«
»Ich?«
»Sie vertraut Ihnen mehr als ihrem sozialistischen Genossen‹, das ist offensichtlich.«
Scofield hob sein Glas. »Hatten Sie vor, sie zu töten?«
»Nein. Das ist eine Entscheidung, die von Ihnen hätte kommen müssen. So ist es immer noch. Mir war nicht wohl, als ich Ihre Hand so dicht an Ihrem Gürtel sah.«
»Mir auch nicht.« Bray stellte sein Glas weg und sah zu dem Mädchen hinüber. Berlin war nie sehr weit – das verstand Taleniekov –, aber Scofields Geist und seine Augen täuschten jetzt seine Erinnerungen nicht; er befand sich nicht in einer Höhle an einer Hügelflanke und sah einer Frau zu, wie sie im Licht eines Lagerfeuers ihr Haar freischüttelte. Es gab keine Ähnlichkeit mehr zwischen seiner Frau und Antonia. Er konnte sie töten, wenn er das mußte. »Dann wird sie mit mir gehen«, sagte er zu dem Russen. »In achtundvierzig Stunden werde ich es wissen. Unsere erste Kontaktaufnahme wird direkt sein; die beiden nächsten mit einem vorher vereinbarten Code über sie, damit wir die Genauigkeit überprüfen können… falls wir sie wollen und sie damit einverstanden ist.«
»Und wenn wir sie nicht wollen oder sie ablehnt?«
»Das wäre dann meine Entscheidung, nicht wahr?« Das war eine Feststellung, die Bray machte, keine Frage. Dann holte er das Salatblatt aus der Jackentasche und öffnete es. Das vergilbte Stück Papier war noch intakt, die Namen verschwommen, aber lesbar. Ohne auf das Blatt zu sehen, wiederholte sie Taleniekov.
»Graf Alberto Scozzi, Rom. Sir John Waverly, London. Fürst Andrei Voroschin, Sankt Petersburg – dahinter steht Rußland, und heute heißt die Stadt natürlich Leningrad. Senor Manuel Ortiz Ortega, Madrid; er ist ausgestrichen. Josua – das soll vermutlich Joshua heißen – Appleton, Massachusetts, USA. Der Spanier ist von dem Padrone in der Villa Matarese getötet worden, er hat dem Rat also nie angehört. Die übrigen vier sind schon lange gestorben, aber zwei ihrer Nachkommen sind sehr prominent, sehr aktiv: David Waverly und Joshua Appleton der Vierte. Der britische Außenminister und der Senator von Massachusetts. Ich würde sagen, wir beginnen mit der sofortigen Konfrontation.«
»Ich nicht«, sagte Bray und blickte auf das Papier mit seiner Kinderschrift. »Weil wir wissen, wer sie sind, aber überhaupt nichts über die anderen. Wer sind ihre Nachkommen? Wo sind sie? Falls es noch mehr Überraschungen gibt, wollen wir sie zuerst finden. Die Matarese beschränken sich nicht auf zwei Männer; speziell diese beiden haben vielleicht überhaupt nichts mit ihnen zu tun.«
»Warum sagen Sie das?«
»Alles, was ich über die beiden weiß, läßt eine Verbindung zu den Matarese praktisch unmöglich erscheinen. Waverly hatte das, was man in England einen ›guten Krieg‹ nennt; ein
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