Der Matarese-Bund
Wir werden feststellen, wer ein oder zwei Jahre später einzog, das ist der Name, den wir brauchen.«
»Sie meinen, es könnte Voroschin sein. Unter seiner neuen Identität?«
»Nicht gleich nervös werden. Es gibt noch mehr solche Fälle.« Kassel lachte. »Ich hatte keine Ahnung, daß meine Vorgänger so raffiniert waren; es ist geradezu schockierend. Sehen Sie doch«, sagte er und zog ein anderes Bündel Papier heraus, sein Blick fiel auf eine Klausel auf der ersten Seite, »hier ist wieder eine. Der Vetter der Krupps überträgt das Eigentum an einem Besitz in Rellinghausen an eine Frau in Düsseldorf, ›in Dankbarkeit für ihre vielen Jahre treuen Dienstes‹. Wirklich!«
»Das ist doch möglich, oder?«
»Natürlich nicht; die Familie würde das nie zulassen. Ein Verwandter hat eine Möglichkeit gefunden, einen netten Profit zu machen, indem er an jemanden verkaufte, der nicht wollte, daß seine Umgebung – oder seine Gläubiger – erfuhren, daß er das Geld hatte. Jemand, der die Frau in Düsseldorf kontrollierte, wenn es sie je gab. Wahrscheinlich haben die Krupps ihrem Vetter gratuliert.«
Und so ging es weiter. 1911, 1912,1913, 1914… 1915.
20. August 1915.
Der Name war da. Heinrich Kassel sagte er nichts, wohl aber Taleniekov. Er erinnerte ihn an ein anderes Dokument, dreitausend Kilometer entfernt, in den Archiven von Leningrad. Die Verbrechen der Familie Voroschin, die Komplizen von Fürst Andrei.
Friedrich Schott.
»Augenblick!« Wassili legte die Hand auf die Seite. »Wo ist das?«
»Stadtwald. Hier ist keine Unregelmäßigkeit. Tatsächlich ist es sogar völlig korrekt, absolut sauber.«
»Vielleicht zu korrekt, zu sauber. So, wie das Voroschin-Massaker in zu vielen Einzelheiten geschildert wurde.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Was wissen Sie von diesem Friedrich Schott?« Der Anwalt runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern; das stand überhaupt nicht zu dem in Beziehung, was er suchte. »Er war für die Krupps tätig, denke ich, in einer sehr hohen Position; anders hätte er sich das hier nicht leisten können. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte er Schwierigkeiten. Ich erinnere mich nicht an die näheren Umstände, eine Gefängnisstrafe oder so etwas, aber ich wüßte nicht, welche Beziehung das zu Ihrer Suche haben sollte.«
»Es ist aber möglich«, sagte Taleniekov. »Man verurteilte ihn wegen illegalen Geldtransfers ins Ausland. Er wurde in der ersten Nacht eines Gefängnisaufenthaltes im Jahre 1919 getötet. Ist der Besitz damals verkauft worden?«
»Das vermute ich. Der Beschreibung nach muß es sich um einen ziemlich wertvollen Besitz handeln. Ich glaube nicht, daß die Witwe eines Strafgefangenen ihn sich leisten konnte.«
»Wie können wir das in Erfahrung bringen?«
»Blättern wir doch weiter zum Jahr 1919. Wir kommen ja…«
»Jetzt. Bitte.«
Kassel seufzte. Er stand auf, trat an den Schrank und kam eine Minute darauf mit einem dicken Aktenbündel zurück. »Das stört aber die Kontinuität«, murmelte er.
»Wir kommen schon wieder darauf; vielleicht gewinnen wir Zeit.«
Es dauerte fast dreißig Minuten, bis Kassel die betreffende Akte gefunden und auf den Tisch gelegt hatte. »Ich fürchte, wir haben gerade eine halbe Stunde vergeudet.«
»Warum?«
»Das Anwesen ist von der Familie Veltrup am 12. November 1919 erworben worden.«
»Die Veltrup-Werke? Krupps Konkurrenz?«
»Damals nicht. Vielleicht in stärkerem Maße heute. Die Veltrups kamen kurz nach der Jahrhundertwende aus München nach Essen, um 1906 oder 1907. Es ist allgemein bekannt, daß die Veltrups aus München stammten, eine sehr angesehene Familie. Das V stimmt, aber es steht nicht für Voroschin.«
Wassilis Verstand arbeitete fieberhaft, bedachte die Informationen, die ihm bereits bekannt waren, und verglich sie mit dem, was er in den letzten Tagen erfahren hatte. Guillaume de Matarese hatte die Häupter einstmals mächtiger Familien zusammengerufen, die ihren ehemaligen Reichtum und Einfluß fast, aber nicht ganz verloren hatten. Nach dem alten Mikovsky hatten die Romanows einen langen Kampf gegen die Voroschins geführt, sie als die Diebe Rußlands, die Schuldigen an der Revolution bezeichnet… Es war klar! Der Padrone aus den Hügeln von Porto Vecchio hatte einen Mann – und damit auch seine Familie – gerufen, der bereits im Begriffe war, zu emigrieren, alles, was er hatte, aus Rußland mitzunehmen!
»Das kaiserliche V, das haben wir gefunden«, sagte Taleniekov. »Mein Gott,
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