Der Matarese-Bund
Fehler hat sie; man sagt, der würde ihre Umgebung manchmal wahnsinnig machen. Obwohl sie die Veltrup-Werke mit fester Hand leitet, kommt es oft vor, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, und eine schnelle Entscheidung notwendig ist, daß sie erklärt, sie müsse sich mit ihrem Vater besprechen, was die Entscheidung häufig tagelang hinausschiebt. Im Herzen ist sie eine Frau, die die Umstände gezwungen haben, den Hut eines Mannes zu tragen, aber die Macht liegt immer noch bei dem alten Walther Veltrup.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nun, wir sind bekannt, mehr nicht.«
»Was halten Sie von ihm?«
»Nicht viel, früher nicht und heute auch nicht. Er schien mir immer ein arroganter, alter Autokrat ohne sehr viel Talent zu sein.«
»Aber die Veltrup-Werke gedeihen«, sagte Wassili.
»Ich weiß, ich weiß. Das höre ich auch immer, wenn ich diese Meinung äußere. Eine schwache Antwort darauf ist, daß sie ohne ihn vielleicht noch mehr gedeihen würden, aber ich gebe zu, daß sie schwach ist. Wenn Veltrup noch erfolgreicher wäre, würde ihm ganz Europa gehören. Es ist also wohl eine persönliche Antipathie meinerseits, und ich habe unrecht.«
Das muß nicht sein, dachte Taleniekov. Die Matarese sind manchmal sehr effizient und unkonventionell. Sie brauchen nur den Apparat.
»Ich möchte ihn kennenlernen«, sagte Wassili. »Alleine. Waren Sie je in seinem Haus?«
»Einmal, vor mehreren Jahren«, erwiderte Kassel. »Die Anwälte der Firma wollten uns in einer Patentfrage konsultieren.
Odile war im Ausland. Ich brauchte die Unterschrift eines der Veltrups auf der Klageschrift; ohne eine solche Unterschrift war ich nicht bereit, den Fall zu übernehmen. So rief ich den Alten an und fuhr hinaus, um sie mir zu holen. Als Odile nach Essen zurückkam, gab es einen unangenehmen Auftritt. Sie brüllte mich am Telefon an: ›Sie hätten meinen Vater nicht stören dürfen! Sie werden nie wieder für Veltrup tätig sein!‹ Oh, sie war unmöglich. Ich erklärte ihr, so höflich ich das konnte, daß wir von ihr den Auftrag ohnehin nicht angenommen hätten, wenn man mich beim ersten Mal gefragt hätte.«
Taleniekov beobachtete den Anwalt, während er das sagte; der Mann war ernsthaft böse. »Warum haben Sie das gesagt?«
»Weil es stimmt. Ich mag die Firma nicht – sämtliche VeltrupFirmen. Sie sind böse.« Kassel lachte. »Meine Gefühle stammen wahrscheinlich noch aus meiner Zeit als radikaler, junger Anwalt – der Anwalt, den Sie vor zwölf Jahren für Ihre Seite gewinnen wollten.«
Der Instinkt eines anständigen Mannes, dachte Wassili. Sie spüren die Matarese und doch wissen sie nichts.
»Ich habe noch eine letzte Bitte an Sie, mein alter, freundlich gestimmter Feind«, sagte Taleniekov. »Genauer gesagt, zwei. Die erste ist, unser Zusammentreffen heute gegenüber niemandem zu erwähnen, auch nicht, was wir festgestellt haben. Und dann möchte ich, daß Sie mir beschreiben, wie man zum Hause der Veltrups kommt, und alles, was Sie davon noch wissen.«
Im grellen Licht der Scheinwerferbalken ragte eine Ziegelmauer auf. Wassili drückte das Gaspedal des gemieteten Mercedes nieder und sah auf den Kilometerzähler, schätzte den Abstand zwischen dem Maueranfang und dem eisernen Tor: sechshundert Meter. Das hohe Tor war verschlossen; es wurde elektrisch bedient und elektronisch überwacht.
Er erreichte das Ende der Mauer; sie war etwas kürzer als ihr Gegenstück auf der anderen Seite des Tores. Dahinter setzte sich der Wald fort, in dessen Mitte die Veltrups ihren Landsitz errichtet hatten. Wieder drückte er das Gaspedal nieder und suchte nach einer Lücke zwischen den Bäumen, einer Stelle, wo er den Mercedes verbergen konnte.
Er fand sie zwischen zwei Bäumen, wo das Gebüsch von früheren Schneefällen niedergedrückt worden war. Er bugsierte den Wagen in die natürliche Höhle hinein, so weit entfernt von der Straße wie möglich. Dann schaltete er den Motor ab, stieg aus und ging den Weg zurück, den er gekommen war, bis er die Straße erreichte. Er stand an der Böschung und überprüfte seine Tarnung; in der Dunkelheit reichte das. Er ging zurück zur Mauer.
Wenn es ihm gelang, über die Mauer zu kommen, ohne einen Alarm auszulösen, würde er auch das Haus erreichen können. Es gab keine Möglichkeit, elektronisch einen Wald zu überwachen; Drähte und Fotozellen wurden zu leicht von Vögeln und anderen Tieren gestört. Die Mauer selbst war es, die das Problem darstellte. Als er sie erreichte,
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