Der Matarese-Bund
wie raffiniert! Wagenladungen von Gold und Silber mit dem kaiserlichen V, die aus Leningrad herausgeholt wurden!« Wassili griff nach der Seite, die vor dem Anwalt lag. »Sie haben es ja selbst gesagt, Heinrich. Voroschin hat sich seine falsche Identität sehr langsam und sehr sorgfältig aufgebaut. Genau das hat er getan; er hat einfach fünf oder sechs Jahre früher angefangen, als ich annahm. Ich bin sicher, wenn solche Akten aufbewahrt würden, oder jemand sich erinnern könnte, würden wir feststellen, daß Herr Veltrup erst alleine nach Essen kam, bis er sich hier etabliert hatte. Ein wohlhabender Mann, der die neuen Gewässer erst prüfte, ehe er Investitionen tätigte; der eine sorgfältig konstruierte Vorgeschichte aus dem fernen München mitbrachte und sein Geld dann durch bayerische oder österreichische Banken nach Essen fließen ließ. So einfach ist das; die Zeit stimmt!«
Plötzlich runzelte Kassel die Stirn. »Seine Frau«, sagte der Anwalt leise.
»Was ist mit seiner Frau?«
»Sie war keine Münchnerin. Sie war Ungarin, entstammte einer wohlhabenden Familie in Debreczin, hieß es. Sie sprach nicht besonders gut deutsch.«
»Das heißt, sie kam aus Leningrad und war nicht sonderlich sprachbegabt. Wie lautete Veltrups voller Name?«
»Ansei Veltrup«, sagte der Anwalt, und seine Augen bohrten sich in die Taleniekovs. »Ansei.«
»Andrei.« Wassili ließ die Seiten fallen. »Unglaublich, wie das Ego immer wieder nach oben drängt, nicht wahr? Fürst Andrei Voroschin.«
27
Sie schlenderten über den Gildenplatz, das Kaffee-HagGebäude erstrahlte im Lichterglanz, während das BoschEmblem dezent, aber nicht zu übersehen, unter der riesigen Uhr leuchtete. Es war jetzt acht Uhr abends, der Himmel war dunkel, die Luft kalt. Es war kein guter Abend für einen Spaziergang, aber Taleniekov und Kassel hatten beinahe sechs Stunden auf dem Grundbuchamt verbracht; der Wind, der über den Platz fegte, erfrischte sie.
»Einen Deutschen von der Ruhr sollte eigentlich nichts erstaunen«, sagte der Anwalt und schüttelte den Kopf. »Schließlich sind wir das Zürich des Nordens. Aber das ist wirklich unglaublich. Ich kenne nur einen Teil der Geschichte. Sie wollen es sich nicht noch einmal überlegen und mir den Rest erzählen?«
»Eines Tages werde ich das vielleicht tun.«
»Das ist mir zu geheimnisvoll. Sagen Sie, was Sie meinen.«
»Wenn ich dann noch lebe.« Wassili sah Kassel an. »Sagen Sie mir alles, was Sie über die Veltrups wissen.«
»Das ist nicht so sonderlich viel. Die Frau ist um 1930 gestorben, glaube ich. Ein Sohn und eine Schwiegertochter kamen bei einem Bombenangriff im Krieg ums Leben, daran erinnere ich mich. Man fand die Leichen einige Tage lang nicht, sie waren unter den Trümmern begraben, wie so viele. Ansei erreichte hohes Alter, irgend wie entging er den Kriegsverbrecherprozessen, die man den Krupps machte. Er starb standesgemäß; ein Herzanfall beim Reiten, irgendwann um 1950.«
»Und wer lebt noch?«
»Walther Veltrup, seine Frau und ihre Tochter; sie hat nie geheiratet, aber das hinderte sie nicht daran, eheliche Freuden zu genießen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nun, sie war eine lebenslustige Frau, wie man sagt; in jungen Jahren galt sie als Schönheit. Die Amerikaner haben einen Begriff, der darauf paßt: Sie war – ist es in vieler Hinsicht noch – eine Männerfresserin.« Der Anwalt hielt inne. »Seltsam, wie die Dinge sich entwickeln. Odile ist es, die die Firmen jetzt leitet. Walther und seine Frau sind schon Ende Siebzig; man sieht sie nur noch selten in der Öffentlichkeit.«
»Wo leben sie?«
»Immer noch im Stadtwald, aber natürlich nicht auf dem ursprünglichen Besitz. Wie wir sahen, ist der nach dem Krieg an eine Immobiliengesellschaft verkauft worden; deshalb erinnerte ich mich auch nicht. Sie haben jetzt ein Haus weiter draußen, auf dem Lande.«
»Was ist mit der Tochter, dieser Odile?«
»Das«, erwiderte Kassel und lachte, »hängt von den jeweiligen Launen der Dame ab. Sie hat ein Penthouse an der Verdener Straße und dort ist schon mancher Geschäftspartner am nächsten Morgen zu erschöpft aufgewacht, um ihr dann am Konferenztisch Widerstand leisten zu können. Wenn sie nicht in der Stadt ist, lebt sie, glaube ich, in einem kleinen Häuschen auf dem Anwesen ihrer Eltern.«
»Scheint mir eine ungewöhnliche Frau zu sein.«
»Eine der besten Reiterinnen im ganzen Ruhrgebiet«, sagte Kassel und hielt wieder inne. Dann fuhr er fort. »Einen
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