Der Matarese-Bund
Augen eine Stadt überblickt… und doch ist da noch etwas. Ich weiß es, fühle es! Etwas anderes, das mitten im Netz sitzt. Wir, die wir »diese Welt so lange und so gut mißhandelt haben«, entwickeln doch Instinkte, nicht wahr? Mein Instinkt ist ganz stark. Es ist dort draußen. Ich brauche nur Zeit. Atmen Sie weiter… mein Freund.
Ich kann nicht länger über sie nachdenken. Ich muß sie aus meinen Gedanken verdrängen; sie dringen immer wieder ein, stören mich. Sie existieren nicht, sie existiert nicht, und ich habe sie verloren. Wir werden nicht miteinander alt werden; es gibt keine Hoffnung… Und jetzt tu etwas. Um Christi willen, tu etwas!
Er hatte die Goldmans schnell verlassen, ihnen gedankt, sie durch seinen abrupten Aufbruch verstört. Er hatte nur noch einige wenige Fragen gestellt – über die Appletons –, Fragen, die jedermann in Boston beantworten konnte, der Bescheid wußte. Die Information war alles, was er brauchte; es hatte keinen Sinn, länger zu bleiben. Jetzt ging er durch den Regen, rauchte eine Zigarette und konzentrierte sich auf das fehlende Fragment, von dem ihm sein Instinkt sagte, daß es eine größere Waffe als der Hirtenjunge war und doch irgendwie Teil des Hirtenjungen, Teil der Tarnung von Nicholas Guiderone. Aber was war dieses Fragment? Woher kam der falsche Ton, den er so deutlich gehört hatte?
Eines wußte er, wußte es mit Sicherheit, nicht nur instinktiv. Er hatte genug, um Senator Joshua Appleton IV. in Panik zu treiben. Er würde den Senator in Washington anrufen und ganz ruhig eine Geschichte erzählen, die vor siebzig Jahren begann, am 4. April 1911 in den Hügeln von Porto Vecchio. Ob der Senator etwas zu sagen hatte? Ob er Licht in das Dunkel einer Organisation bringen konnte, die man die Matarese nannte, und die ihre Aktivitäten im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts begann – in Sarajewo vielleicht –, indem sie anfing, politische Morde zu verkaufen? Eine Organisation, von der sich die Appleton-Familie nie getrennt hatte, konnte man ihre Spuren doch bis in einen weißen Wolkenkratzer in Boston verfolgen, zu einer Firma, die der Senator durch die Mitgliedschaft in ihrem Aufsichtsrat beehrte. Aus dem Zeitalter des Wassermanns war das Zeitalter der Verschwörung geworden. Ein Mann auf dem Marsch ins Weiße Haus würde in Panik geraten müssen; in der Panik pflegte man Fehler zu machen.
Aber man konnte die Panik unter Kontrolle halten. Die Matarese würden schnell die Verteidigung des Senators antreten, die Präsidentschaft war ein zu großer Preis, um sie aufzugeben. Vorwürfe, die ein Verräter erhob, waren keine Vorwürfe, es waren nur Worte eines Mannes, der sein Land verraten hatte.
Instinkt. Er mußte sich den Mann – den Menschen – genauer ansehen.
Joshua Appleton war nicht so, wie die Nation ihn sah. Die Vatergestalt, die bei allen Schichten Anklang fand. Wie aber stand es um den Menschen, der sich hinter dieser Fassade verbarg? War es möglich, daß der alltägliche Mensch Schwächen hatte, die abzuleugnen ihm unendlich schwerer fallen würde, als den Vorwurf einer großen Verschwörung, den ein Verräter vorgebracht hatte? War es vorstellbar – und je mehr Bray darüber nachdachte, desto logischer schien es ihm –, daß seine Kriegstaten in Korea eine reine Erfindung waren? Hatte man Kommandeure gekauft und Orden bezahlt, hundert Männer mit Geld dazu veranlaßt, eine Krankenwache zu halten, für die sich keiner interessierte? Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß man den Krieg zum Sprungbrett für das Zivilleben in Prunk und Ansehen benutzt hätte. Der perfekte Schachzug, wenn man das Szenario präzise vorbereitete – was war schon für die Mittel der Matarese unmöglich?
Den Mann mußte er sich ansehen. Den Menschen.
Goldman hatte Bray alles über die Appletons gesagt, was er wußte. Der offizielle Wohnsitz des Senators war ein Haus in Concord, wo er und seine Familie während der Sommermonate wohnten. Sein Vater war vor einigen Jahren gestorben. Nicholas Guiderone hatte dem Sohn seines Wohltäters den letzten Respekt erwiesen, indem er der Witwe Appleton Hall um ein Mehrfaches des Marktwertes abgekauft und versprochen hatte, den Namen auf alle Ewigkeit beizubehalten. Die alte Mrs. Appleton lebte gegenwärtig in Beacon Hill, in einem Bau aus der Zeit der Jahrhundertwende am Louisburg Square.
Die Mutter. Was für eine Art Frau war sie? Mitte der Siebzig hatte Goldman geschätzt. Ob sie etwas würde sagen können? Eine ganze Menge
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