Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
den Köpfen der Menschen haltzumachen. Das wirkte sich beispielsweise auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus, weil Politiker und Diplomaten in der Julikrise des Sommers 1914 von Tempo und Fülle der eintreffenden Telegramme überfordert waren und der allgemeinen politischen Erhitzung nichts entgegenzusetzen vermochten, weil keine Zeit blieb, mäßigend einzuwirken und etwa »Tempo rauszunehmen«, wie man heute sagen würde.
Ein jüngeres, nicht weniger dramatisches Beispiel ist der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, der das Ende der kommunistischen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa einleitete. Nacheiner turbulenten Pressekonferenz der DDR-Regierung machte die zugespitzt dargestellte Meldung in den Spätnachrichten des Westfernsehens aus einer vorgesehenen Ausreiseregelung mit einem zeitlichen Vorlauf aus Passantrag und Behördengang eine angeblich bereits erfolgte Grenzöffnung, die in kürzester Zeit zu einem Ansturm auf die innerstädtischen Grenzanlagen Berlins führte. Deren Zeitdruck wiederum führte zum Hochziehen der Schlagbäume – und schließlich zur deutschen Einheit weniger als ein Jahr darauf. Eine Zeitenwende im Schnellwaschgang. Frischer noch ist die Erinnerung an die Bankenkrise 2008, die sich zwar lange angebahnt hatte, dann aber von New York ausgehend wie ein Lauffeuer den Erdball erfasste.
Beschleunigung als Phänomen der Moderne begann in Europa, und unser modernes Zeitempfinden, ob in Berlin, Seoul oder Kapstadt, ist bei allen regionalen oder kulturellen Nuancen von der westlichen Kultur ebenso beeinflusst wie der westliche Lebenstil insgesamt weltweit dominiert. Weltweit? Nein, denn es gibt im beschleunigten Zeitstrom der Welt gemächlich dahintreibende Inseln, die sich dem Tempo der Moderne verweigern. Alle Menschen haben ein Bewusstsein für Zeit, nur kann dieses Bewusstsein selbst heute noch höchst unterschiedlich aussehen. Denn die Wahrnehmung und der Umgang mit Zeit sind von einer Fülle gesellschaftlicher Bedingungen abhängig – Religion, soziale Interaktion, wirtschaftliche Entwicklung −, aber auch von Vorgaben der natürlichen Umwelt. Für die noch traditionell lebenden australischen Aborigines bestimmt ihre ursprüngliche Daseinsform als Jäger und Sammler ihr Verhältnis zur Zeit: Der richtige Zeitpunkt für eine Handlung wird nicht durch den Blick auf Uhr oder Kalender bestimmt, sondern anhand von Erfahrung und Beobachtung: Die Früchte einer bestimmten Gegend etwa sind ungefähr zu der Zeit reif, wenn der Fluss nach der Trockenzeit wieder Wasser führt.Ebenso misst man den Verlauf des menschlichen Lebens nicht an Lebensjahren, sondern im Vergleich mit Kindern oder Eltern. Solche Zeitmaßstäbe dienen auch der Verständigung untereinander, etwa wenn man sich für den Zeitpunkt verabredet, zu dem die Sonne erstmals hinter einem bestimmten Felsen untergeht oder die Fischlaiche vorüber ist. Auch ohne niedergelegten Kalender spielen Himmelskonstellationen, insbesondere der Vollmond, für religiöse Feste eine wichtige Rolle.
Die kanadischen Inuit besitzen in ihrer Sprache nicht einmal ein Wort für den Begriff Zeit, wie wir ihn verstehen. Trotzdem haben sie eine Vorstellung davon, beispielsweise gilt das frühe Aufstehen als unerlässliche Tugend. Vor der Einführung der Uhr bestimmte man den Zeitpunkt des Aufstehens im arktischen Winter anhand des Sternenstands und verließ sich fürs zeitige Aufwachen auf die eigene Blasenfunktion. Die Lebensumstände prägten die Zeitwahrnehmung: Um stets gut versorgt zu sein, bedurfte es der Kenntnis der Gewohnheiten der Beutetiere, seien es Fische, Robben oder Karibus, und ihrer zyklischen Wanderungsbewegungen. Dafür orientierte man sich an wiederkehrenden Aspekten im Jahreslauf, den man wiederum durch genaue Himmelsbeobachtung verfolgte. In einer derart unwirtlichen Lebensumwelt wie der Arktis waren entsprechende Fertigkeiten überlebensnotwendig.
Längere Zeiträume wurden auf persönlicher Basis festgehalten: So besaßen traditionelle Inuitfamilien einen individuellen Kalender, um das Aufwachsen ihrer Kinder zu dokumentieren und mehrere Generationen in die Vergangenheit zurückzublicken. Ein einfacher Kalender verzeichnete übers Jahr 13 recht flexible »Monde«, die mit wiederkehrenden Naturerscheinungen oder Lebensgewohnheiten wichtiger Tiere assoziiert wurden und zu bestimmten Tätigkeiten aufforderten. So wechselte man vom Winteriglu ins Zelt zu der Zeit, in der man die Seelöwen jagte, die sich in den ersten
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