Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Regenwäldern. Die Herrscherdynastie dieser Stadt konnte so vollständig rekonstruiert werden wie in keiner anderen Maya-Polis und setzt bereits 431 ein. Palenques berühmtester König war Pakal I., dessen Grab im »Tempel der Inschriften« erst Anfang der 1950er-Jahre gefunden wurde. Pakal, 603 geboren und schon als Halbwüchsiger König, wurde über 80 Jahre alt, und eine entsprechend lange Regierungszeit war ihm beschieden. Sein Sohn und Nachfolger ließ ihn in einer prächtig ausgestatteten Grabkammer beisetzen, und der riesige, kunstvoll gearbeitete Kalksteindeckel seines Sarkophags bringt, abgesehen von der Ahnenreihe des verstorbenen Königs, wieder einmal den Maisgott ins Spiel: In seiner Gestalt sieht man den Gottkönig, der gerade den Klauen der Unterwelt entkommt, um in die Götterwelt einzutreten. Wie dem milpa -Bauern bei seiner Feldarbeit diente dem seine letzten Dinge ordnenden König der Maisgott als Metapher für den Zyklus von Tod und Wiedergeburt – nur dass er sich erlaubte, gleich selbst in dessen Haut zu schlüpfen.
Unter Pakals Herrschaft erlangte Palenque wieder Glanz und Ruhm, der zuvor durch militärische Niederlagen gegen die rivalisierende Stadt Calakmul arg verblasst war. Die wiedererlangte Größe war offenbar vornehmlich dem militärischen Geschick des Königs zu verdanken – wenn Pakal auch anfängliche Rückschläge hinnehmen musste. Seine größte Machtausdehnung erfuhr Palenque unter Pakals Sohn Kan Balam II. Ende des 7. Jahrhunderts undverdankte sich neben militärischen Erfolgen auch geschickter Diplomatie – doch ein Jahrhundert später und nach abermaligen Niederlagen gegen Machtrivalen ging Palenque als eine der ersten Städte in der rätselhaften Krise der Maya-Klassik unter.
Das System der Stadtstaaten – mehrere Dutzend im Maya-Tiefland – beruhte auf der Vorherrschaft einiger weniger Städte über viele kleinere und weniger mächtige. Das beständige Ringen um Einfluss und Reichtum führte zu Vasallenstaaten der Großen, zu denen auch die Stadt Caracol gehörte, die wie ihr mächtiger Bruder Tikal wirtschaftlich und strategisch von einiger Bedeutung war.
Caracol lehnte sich im 6. Jahrhundert auf gegen die Vormachtstellung Tikals, das gerade den Zenit seiner Herrlichkeit überschritten hatte. Unterstützt wurde Caracol von einer neuen Großmacht der Region: von Calakmul, deren Herrscher möglicherweise aus dem untergegangenen El Mirador stammten.
Bei aller Bedeutung als diejenige Stadt, die Tikal zumindest für einige Zeit den Rang ablief, ist die Geschichte Calakmuls erheblich schwieriger zu rekonstruieren als die Tikals: Zwar gibt es mehr Stelen als in jeder anderen Maya-Stadt, und diese Stelen könnte man lesen wie ein Geschichtsbuch – wären ihre Inschriften nicht dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, weil der allzu weiche Kalkstein sich als nicht dauerhaft genug erwies.
Hauptantrieb für offen ausgetragene Machtkämpfe waren offenbar wirtschaftliche Belange, es ging immer wieder um die Kontrolle von Handelswegen und Ressourcen und darum, im Kampf um Wohlstand über den Konkurrenten die Oberhand und damit Machtprestige zu gewinnen. Dagegen scheint die Schaffung eines großen Territorialstaates, wie wir es als Kriegsziel vergleichbarer alter Kulturen kennen, nicht im Kalkül der Maya-Herrscher gelegen zu haben. Die Gründe dafür sind umstritten – sie dürften ideologisch-religiöser Natur sein, aber auch bestimmt von der Schwierigkeit, unter den Gegebenheiten der Region eine Infrastrukturund Verwaltung aufzubauen, um ein Großreich auf Dauer zu erhalten.
Vermutlich war aber insbesondere das Gottkönigsystem unangefochten – das würde erklären, warum ein siegreicher Stadtstaat seine Oberherrschaft dadurch ausreichend gefestigt sah, dass der König der besiegten Stadt zum Vasallen, zum Unterkönig degradiert wurde, offiziell aber in Amt und Würden blieb. Möglicherweise war der militärische Triumph, der als göttlicher Gunstbeweis propagandistisch verwertet werden konnte, nutzbringender als die mühselige Unterhaltung eines ausgedehnten Territorialstaates.
Da die Könige des Tieflandes der klassischen Epoche sich und ihren Alleinvertretungsanspruch in wirtschaftlichen und politischen Dingen religiös und dynastisch legitimierten, mussten sie die ihnen und ihren Ahnen zukommende Gunst der Götter immer wieder unter Beweis stellen. Diese Nähe zum Götterhimmel sollten religiöse Rituale belegen, aber auch ihre Feldzüge: Wem die Götter wohlgesinnt
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