Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
waren, dem schenkten sie gutes Erntewetter, Händlerglück – und militärische Fortüne. Tikal begründete seinen Anspruch auf Vorherrschaft im Maya-Tiefland mit seiner vorgeblich uralten Dynastie, was Calakmul mit der Behauptung konterte, noch viel länger in ein und derselben Herrscherlinie regiert zu werden – auch das riecht unverkennbar nach Propaganda in einem Konkurrenzkampf, in dem es weniger um Legitimation als um Machtbehauptung und Statusfragen ging. Gleichzeitig stand der Konflikt zwischen den beiden großen Städten in Zusammenhang mit dem enormen Bevölkerungswachstum jener Zeit, weil damit Agrarland, Wasser, Rohstoffe und Handelsanteile zu ebenso knappen wie umkämpften Gütern wurden.
Das Kräftemessen weitete sich zum offenen Krieg der Supermächte Tikal und Calakmul aus, in dem Tikal, unter König Wak Chan K’awiil, 562 zunächst unterlag, obwohl es erheblich größer warals Calakmul und sich mit Verteidigungsanlagen zu schützen versucht hatte. Aber Calakmul hatte Verbündete, darunter die Stadt Caracol. Der König von Tikal kam 562 vermutlich ums Leben, jedenfalls wurde er fortan nicht mehr genannt. Calakmul hatte listig und erfolgreich eine Politik der Einkreisung praktiziert, indem es ein Bündnissystem installierte, von dem Tikal schließlich umzingelt und dadurch von seinen Verbündeten Copán und Palenque abgeschnitten wurde. Die Information darüber findet sich aber nicht in Tikal selbst, wo die Geschichtsschreibung für ein volles Jahrhundert unterbrochen wird und damit auf die Dramatik der Ereignisse verweist. Calakmuls Verbündete sind es, die diesen historischen Sieg überliefern und dem Kriegsgott Venus zuschreiben. Bald konnten die Herrscher von Calakmul sich damit brüsten, ein größeres Gebiet zu kontrollieren als je ein Stadtstaat des Tieflandes zuvor. Fortan stand die Stadt im heutigen mexikanischen Bundesstaat Campeche als mächtiger Platzhirsch in der Rangordnung unter den Maya-Städten ganz oben.
Nach dem Sieg Calakmuls und seiner Verbündeten trat zum zweiten Mal in der Geschichte von Tikal ein Herrscher sein Amt an, der sich in die Nachfolge der uralten Dynastie setzte, obwohl er gar nicht der Sohn seines Vorgängers und diesmal noch dazu ein Unterkönig der Siegermacht Calakmul war. Dauerhaft konnte Calakmul den Rivalen Tikal allerdings nicht zum ohnmächtigen Vasallen degradieren, auch wenn die Erfolgsserie Calakmuls noch eine Weile anhielt und viele andere Städte ihre Unabhängigkeit kostete. Über beachtliche Distanzen streckte die Großmacht ihre begehrlichen Fänge aus – Hunderte Kilometer weit, was angesichts der geografischen Bedingungen und ohne Pferd und Räderwagen höchst beachtlich ist.
Aber Tikal verzagte selbst unter der neuen Dynastie nicht, sondern begehrte abermals auf und gründete 120 Kilometer südwestlich, ebenfalls im heutigen Guatemala gelegen, die Filiale DosPilas, wo der König von Tikal seinen Sohn als Herrn einsetzte. Der aber sah sich Angriffen aus Calakmul ausgesetzt, wechselte die Fronten und schloss sich, wenn auch mutmaßlich nicht ganz freiwillig, dem gegen seinen Vater gerichteten Bündnis an. Das trieb ganz im Sinne Calakmuls einen Keil in die Herrscherfamilie von Tikal, wo inzwischen ein neuer König den Thron bestiegen hatte. Wie Kain und Abel standen damit in Tikal beziehungsweise in Dos Pilas nunmehr zwei Brüder einander in verfeindeten Lagern gegenüber. Die Gunst der Venus war mal dem einen, mal dem anderen beschieden, bis Dos Pilas in einer besonders blutigen Schlacht und mithilfe Calakmuls den Gegner niederrang und der unterlegene der beiden Brüder getötet wurde, der Herrscher von Tikal.
Trotzdem wurde wenige Jahre darauf dessen Sohn Nachfolger auf dem Thron und errang Ende des 7. Jahrhunderts schließlich doch noch den Sieg über Calakmul, dessen Bündnissystem nämlich offenbar zunehmend überdehnt und nur mit Mühe unter Kontrolle zu halten war. Das lassen die Konflikte diverser Bündnispartner untereinander erkennen. Irgendwann war der mächtigste Stadtstaat der Maya-Lande so sehr mit Problemen innerhalb seines Bündnisses befasst, dass er die äußeren Feinde aus dem Auge verlor. Dass nicht nur Venus dem mächtigen Calakmul zürnte, offenbarte sich für alle Beteiligten ebenso anschaulich wie überzeugend an der Trophäe, die die Krieger Tikals voller Stolz vom Schlachtfeld mit nach Hause brachten. Es war das Standbild des Schutzgottes von Calakmul: ein wütender Jaguar, der seiner Aufgabe, die Stadt auf dem Feld
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