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Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Kalenderrunde. Noch viel weniger konnte Ben wissen, dass dieser Tag nach westlicher Chronologie dem 1. Januar 45 v. Chr. entspricht – und damit nicht nur Neujahr, sondern auch dem erstenGeltungstag der julianischen Kalenderreform. Das Neujahrsfest des Maya-Kalenders hingegen hat Ben längst hinter sich, denn der Tag 1 Pop liegt bereits 136 Tage zurück.
    Kurz nach seiner Geburt am Tag 12 Ben 11 Yaxk’in fünfundzwanzig Jahre zuvor tropfte Bens Vater aus Dankbarkeit für die glücklich verlaufene Geburt und das Geschenk eines gesunden Jungen und Erben Blut aus der abgetrennten Nabelschnur auf eigens beiseitegelegte Maiskörner, um dem Maisgott zu huldigen. Später säte er die Körner in den vier Ecken seiner milpa aus, um von den heranwachsenden Maispflanzen seinen Erstgeborenen zu ernähren, wie es der Brauch war – so lange, bis dieser selbst ein Maisfeld bestellen würde. Ben tut inzwischen dasselbe bei seinen Kindern, und die werden es bei ihren Nachkommen ebenso halten – bis auf den heutigen Tag haben zahlreiche Kalenderbräuche bei den Maya überlebt, auch wenn vieles von der jetzigen Religion des Christentums ersetzt, überlagert oder anverwandelt wurde. So gelten bis heute der Geburtstag und seine Deutung nach dem Ritualkalender als schicksalbestimmend, vergleichbar unserer Vorstellung von Astrologie. Ben wäre da übrigens gut weggekommen, denn sein Geburtstag galt als ein glücklicher Tag.
    Wenn dieser frühe Morgen des 4 K’an 17 Yaxk’in für Ben etwas Besonderes ist, dann also nicht wegen seines Geburtstages, des Neujahrsfestes oder wegen einer neuen Kalenderepoche, die Tausende Kilometer weiter ein mächtiger Mann für einen anderen Kulturkreis verfügt hat. Nicht nach Julius Caesar werden die Kinder benannt, die an diesem Tag überall in den Maya-Landen geboren werden, sondern vermutlich ruft man sie später Kan, ein weiterer mit dem Maisgott als Patron versehener Tagesname im Ritualkalender.
    Wir wollen uns vielmehr vorstellen, dass dieser Morgen für Bauer Ben deshalb kein alltäglicher ist, weil er sich in die nahe liegende Stadt Cerros aufmachen wird und deswegen ein klein bisschenaufgeregt ist. Denn dort wird er nicht nur den Markt besuchen, sondern auch einem großen Opferspektakel beiwohnen, das vor dem neuen Tempel stattfindet – auch deswegen an einem Markttag, damit das Publikum möglichst zahlreich ist. Die Kalenderpriester des Königs haben den Charakter des Tages eingehend untersucht und das Spektakel gutgeheißen. Cerros wird gerade zu einer stolzen Stadt ausgebaut, und Ben freut sich auf die Zeremonie nicht nur, weil sie erhebend und bestärkend ist, sondern auch, weil der Event unterhaltsam zu werden verspricht. Außerdem kennt er die neuen, prächtigen Gebäude der Stadt noch nicht, hat aber schon davon gehört.
    Ben muss damit rechnen, bald selbst zu Arbeiten in der Stadt dienstverpflichtet zu werden, wie es anderen in seinem Dorf bereits ergangen ist. Der Bau des prächtigen Zentrums ist eine große logistische Herausforderung und benötigt eine stattliche Schar von Arbeitern, schon weil jeder Stein mittels Menschenkraft herbeigeschafft werden muss, da die Maya weder das Rad benutzen noch geeignete Lasttiere besitzen. An der Entstehung eines bleibenden Bauwerkes mitzuwirken, das nicht nur die Stadt prägt, sondern auch der launischen Götterwelt huldigt, wird ihm allemal angenehmer sein, als in einen Krieg zu ziehen und sein Leben aufs Spiel zu setzen.
    Wie jeden Morgen nimmt sich Ben ein paar Minuten (eine Zeiteinheit, die die Maya allerdings nicht kannten), um vor seiner Haustür, die traditionell der aufgehenden Sonne zugewandt ist, stille Einkehr zu halten. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen erleben die Menschen den Sonnenaufgang als etwas Schönes, Erhebendes, Tröstliches. Licht und Wärme sind willkommen nach einer dunklen, vielleicht kühlen Nacht. Das gilt noch heute; aber während wir den Beginn des Tages vornehmlich danach beurteilen, was wir uns vom neuen Tag erhoffen, ob das Wetter zum Sonnenbaden taugen könnte oder eher zum Shoppen, vollzog sichfür die Maya allmorgendlich etwas Grundsätzliches: Mit jedem Sonnenaufgang wurde die Sonne neu geboren und wiederholte damit die Schöpfung, und man darf annehmen, dass daher der neue Tag mit einem Moment sowohl der Freude als auch der demütigen Dankbarkeit begrüßt wurde. Gleichzeitig war klar, dass die Sonne am Abend wieder sterben, im Urmeer versinken und für eine weitere Nacht zum Gefangenen der Unterwelt

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