Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
Gottheit K’inich ajaw zwei Erscheinungsformen: alt und jung, als Tages- und als Nachtvariante.
Auf diesen unveränderlichen Zyklus von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt kam es am Himmel maßgeblich an – ganz so wie auf der Erde im menschlichen Leben, im Wachstum der Maispflanze oder in Wiederkehr und Vergehen von Regen- und Trockenzeit, von Aussaat und Ernte. Diese Ordnung, eindrücklich nachvollziehbar am Fortgang der Zeit und ihren zyklischen Wiederholungen, war die heiligste und wichtigste im Weltbild der Maya.
Für Ben wie für jeden anderen Maya – für alle Menschen Mesoamerikas und überhaupt alle frühen Zivilisationen – war die Umwelt kein nüchterner Ort, den man rational oder naturwissenschaftlich begreift, wie wir es uns heute zugutehalten. Für ihn war sie ein beseeltes Ganzes, in dem alles, sowohl auf der Erde als auch am Himmel, seinen festen Platz, seine Aufgabe und seine Bestimmung hat – und eine religiöse Dimension. Zeitrechnung und Zeitwahrnehmung waren von dieser Sichtweise durchdrungen, und daher bestimmen religiöse Aspekte auch die Kalenderwirtschaft der Maya. Folglich galt die Zeit an sich als eine zutiefst heilige Angelegenheit und der Kalender als geheiligtes Instrument, dem man Respekt und Demut zollte.
Nach ihrem Weltverständnis lebten (und leben) die Maya nicht in der ersten Schöpfung: Den vorangegangenen Welten hatten die Götter mithilfe von Sintfluten ein Ende gemacht. Die Schöpfung der gegenwärtigen Welt dient als Nullpunkt der Langzeitchronologie des Kalenders, nach gängiger Umrechnung im Jahr 3114 v. Chr. Die Maya rechneten aber durchaus noch weiter zurück, wenn es ihnen notwendig erschien – beispielsweise um die Geburtstage derjenigen Götter zu ermitteln, die die gegenwärtige Schöpfung auf den Weg gebracht haben. Gleichwohl stand im Mittelpunkt der Maya-Kosmologie die Erschaffung der gegenwärtigen Welt, die sich deutlich weniger rasant vollzog, als es die hebräische Bibel für die jüdisch-christliche Tradition berichtet. Statt der biblischenWoche brauchte es in der Überlieferung der Maya drei bak’tun , das sind rund 1200 Jahre, bis im Kosmos alles an seinem Platz war. Vollbracht war die Schöpfung noch lange nicht, nachdem der Maisgott als »Herr des erhobenen Himmels«, wie ein Ritualgefäß aus Tikal im 4. Jahrhundert n. Chr. zu berichten weiß, den Himmel aufstemmte. Zunächst existierten nämlich weder Tag noch Nacht. Jahrhunderte später erst wurde das Universum belebt, indem der Erste Vater den Himmel in Bewegung versetzte.
In dieser Kosmologie gibt es drei Weltebenen: die Himmelswelt, in der die Sternengötter unerschütterlich ihre Bahnen ziehen, die unsichtbare Unterwelt namens Xibalba , »Ort der Angst«, sowie dazwischen und unentrinnbar eingeklemmt die sichtbare Menschenwelt, Mittelerde sozusagen. Mitunter wird diese gar nicht erst als eigenständige Zone betrachtet, sondern als eine Art Schnittmenge zwischen Unterwelt und Himmelreich. Diese Menschenwelt stellte man sich wie ein großes, rechteckiges Maisfeld vor – solche landwirtschaftlichen Motive durchziehen die Maya-Mythen.
Die Erde schwimmt auf dem Urmeer, und an ihren vier Ecken, entsprechend den vier Himmelsrichtungen, ragt je ein Berg empor, an dessen Fuß ein Baum den Eingang zu einer Höhle markiert. Das Meer bildet die Grenze zwischen Erde und Unterwelt, und diese vier Höhlen sind die Zugänge nach unten, wo die Verstorbenen leben. Der wichtigste Baum aber steht im Zentrum der Erde: der Weltenbaum. Wie in anderen alten Religionen Afrikas, Asiens und des Vorderen Orients ist er Symbol der kraftvollen, heiligen Schöpfung mit ihrer zyklischen Eigenschaft der beständigen Wiederkehr, der Abfolge von Keimen, Treiben, Blühen, Früchtetragen, Vergehen und Tod, in dem sich wiederum ein neuer Zyklus vorbereitet.
Der Weltenbaum verbindet die drei Weltebenen: Seine Wurzeln reichen tief nach Xibalba hinein, sein Wipfel reckt sich in denHimmel. In den künstlerischen Darstellungen ist es meist ein Kapokbaum, der imposante, den Maya heilige Wollbaum mit riesigen Brettwurzeln und stachelbewehrter Rinde – oder auch eine Maispflanze. Im Wipfel des Baumes, den die Maya yaxche oder »ersten Baum« nannten, hockt der Himmelsvogel Itzam Ye, der dem höchsten Gott der Maya entspricht: Itzamnaaj. Auch der Himmel wird in vier Teile unterschieden, und es sind vier Götter, die das Firmament tragen, damit es nicht auf die Erde fällt. Gleichzeitig ist die Himmelswelt in dreizehn Schichten
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