Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
arithmetische Übung die beste Erklärung bietet.
Wie auch immer, jedenfalls wurde das Ende einer Kalenderrunde, also ein besonderes Neujahr, das nur alle 52 Jahre vorkam, ganz besonders gefeiert. Aber es war auch ein Anlass zum besonders ausgiebigen Großreinemachen, größer noch, als es zu jedem neuen Haab zelebriert wurde.
Im Unterschied zu anderen frühen Hochkulturen operierten die Maya kalendarisch zweigleisig: ein Kalender für Rituelles, einer für Ziviles oder Landwirtschaftliches. Das aber änderte nichts an der Wahrnehmung der einen, gottgegebenen, heiligen Zeit. In gewisser Weise lässt sich dieses Nebeneinander mit den beiden Kalenderrechnungen der islamischen Welt vergleichen, die überwiegend den westlichen Sonnenkalender angenommen hat, ihre religiösen Geschäfte aber weiterhin streng nach dem traditionellen islamischen Mondkalender regelt. Allerdings befasste sich bei den Maya eine Heerschar Kalenderkundiger damit, die beiden Kalender sowie dieZyklen, die sie des Nachts am Himmel beobachteten, in Übereinstimmung zu bringen. Und dafür entwickelten sie staunenswerte astronomische und mathematische Fähigkeiten – und zwar ohne Fernrohr oder Computer. Angesichts des heiligen Charakters der Zeit war der Job des Sternenguckers eine edle Aufgabe, und durch das Instrument Mathematik wurde Zahlenmystik mindestens zu einer gottgefälligen Spielerei – wenn mitunter nicht einer bigotten Besessenheit.
Natürlich war der Umgang der Menschen mit Zeit und Kalender je nach Stand sehr verschieden. Die intellektuelle Elite der Kalenderpriester und Astronomen war mit allen Feinheiten der verschiedenen Kalender bestens vertraut, während den einfachen Menschen Grundkenntnisse ausreichten und sie die komplizierte Lange Zählung links liegen ließen. Ob Bauer Ben oder seine Kollegen im Zweistromland, im alten China oder dem mittelalterlichen Europa – sie alle vertrauten auf den religiösen Sachverstand ihrer Priester, auch wenn es um Zeit und Kalender ging. Denn diese Fachleute gaben an, wann man dem einen Gott oder den vielen Göttern huldigen sollte, ob durch Glockengeläut oder bestimmte Festtage, an denen Gott oder Heilige anzurufen waren, und wie man das zu tun hatte, sei es durch Gebet, Fasten oder Blutopfer.
Die Kalenderpriester begleiteten aber auch die Arbeit der Menschen: Wann säen, wann wässern, wann dem Maisgott opfern, damit die Ernte glückt? Diese Verschränkung von weltlichen und religiösen Aspekten der Zeitrechnung entsprach ganz der Lebenswahrnehmung der Maya.
Gleichzeitig spiegelt sich im Kalender und dem Umgang damit bereits das Gefälle zwischen städtischer Elite und ländlichen Versorgern – und ihre gegenseitige Abhängigkeit: Mit steigenden Erträgen dank immer besserer Anbaumethoden gewährleisteten die Bauern bis ins 9. Jahrhundert das Bevölkerungswachstum, versorgten die dicht besiedelten Städte mit Lebensmitteln und trugenso zum Machterhalt der städtischen Eliten bei. Angesichts schwieriger Wetterbedingungen war die Landwirtschaft umgekehrt angewiesen auf das Know-how der dortigen Fachleute, die ihr technische Verbesserungen wie Bewässerungssysteme oder auch Saisonarbeiter zur Verfügung stellte. Teil dieses Know-hows war das Können der Astronomen und Kalenderkundigen, die nach Gesetzmäßigkeiten der Himmelskörper forschten, um Rückschlüsse auf Wetterbedingungen zu treffen und der Landwirtschaft Anweisungen zu erteilen, wann Aussaat, Bewässerung und Ernte zu erfolgen hatten. Eine solche Arbeitsteilung setzte allerdings voraus, dass die Gesellschaft eine Stufe der Entwicklung erreicht hatte, in der all dies möglich war – also bezüglich Bevölkerungsgröße, Spezialisierung bestimmter Gruppen und Hierarchisierung von Entscheidungsstrukturen. Mit der ursprünglichen Sozialstruktur egalitärer Verbände hätte sich das nicht mehr vertragen, und auch die nächsthöhere Stufe der Häuptlingstümer wäre damit überfordert gewesen.
Morgengrauen vor der Lehmhütte
Nehmen wir an, unser Bauer namens Ben steht im Morgengrauen des Tages, der nach seinem Kalender 4 K’an 17 Yaxk’in heißt, vor seiner bescheidenen Lehmhütte und schaut gen Osten zum Sonnenaufgang. In der Langzeitchronologie der Maya, die mit unserer Jahreszählung vergleichbar ist und als Lange Zählung bezeichnet wird, wäre es der Tag 7.15.13.1.4, aber diese Art der Datierung dürfte dem guten Mann kaum geläufig gewesen sein. Seinen Bedürfnissen genügten die Zyklen von Tzolk’in und Haab sowie die
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