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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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standen davor.«
    »Das tatet ihr.« Ich musste daran denken, dass Fischel nicht wie so viele Baseler Studenten ein Sohn der Eidgenössischen Ehrbarkeit war, sondern jüdischer Abstammung. Und als Jude hatte er nicht an meiner opulenten Feier mit Malvasier, Bier, Enzian und Zuckerwerk teilnehmen dürfen. Das verbot ihm die
Kaschrut,
die jüdischen Speisegesetze. Wer nach diesen Gesetzen leben wollte, durfte keinen Wein trinken, der nicht koscher war, und keine unkoscheren Speisen essen. Er musste Fleisch und Käse mit zweierlei Besteck zu sich nehmen und durfte beides niemals zur gleichen Zeit genießen. Der Grund dafür, so hatte mir Fischel einmal erzählt, finde sich in den Büchern Mose, dort stehe nicht weniger als drei Mal, dass man
das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter bereiten
darf. Ein gläubiger Jude verstehe diese Stellen so, dass Speisen aus Fleisch und Speisen aus Milch nicht zusammen gegessen werden dürfen. Wurst sei in hohem Maße »taref«, weil sie gewöhnlich Blut enthalte. Blut aber sei der Wohnsitz der Seele eines Tieres …
    Dass er mir das alles so genau erklärt hatte, war eine Ehre für mich, denn es gab nur ganz wenige Menschen, die um seinen Glauben wussten. Juden waren in Basel unerwünscht. »Was wirst du nun machen?«, fragte ich.
    »Ich werde das Studium an den Nagel hängen.« Fischel grinste schief. Es schien, als sei die Aussicht, sich nicht mehr mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik beschäftigen zu müssen, durchaus verlockend für ihn. Er war immer ein lustiger Kerl gewesen, aber nie ein ernsthafter Student, wofür allein schon die Tatsache sprach, dass er zweimal durch das Examen zum Baccalarius gefallen war.
    »Dann hast du jahrelang umsonst studiert«, sagte ich. »Willst du wirklich aufgeben?«
    »Ich will nicht, ich muss.« Fischel wurde wieder ernst. »Mein Onkel ist tot. Er ist eines der vielen Opfer.«
    »Dein Onkel? Dass du einen Onkel hier in Basel hattest, wusste ich nicht.«
    »Er hieß Nathan Wiesenthal und war mein einziger lebender Verwandter. Ein guter Mann.« Fischel wandte sich ab. Er wollte nicht, dass ich sah, wie ihm die Tränen kamen.
    »Das tut mir sehr, sehr leid. Aber was hat der Tod deines Onkels mit der Aufgabe deines Studiums zu tun?«
    »Ganz einfach, er hat es bezahlt.«
    »Hm, das verstehe ich.« Ich überlegte. »Was ich mich frage, ist, ob dein Onkel dir nichts hinterlassen hat. Ich meine, davon könntest du doch …«
    Fischel winkte ab. »Mein Onkel hat sich seinen und meinen Aufenthalt in Basel jedes Jahr aufs Neue teuer erkaufen müssen. Wenn du so willst, hat er den Rat bestochen. Jetzt, wo er tot ist, werden die hohen Herren nichts Eiligeres zu tun haben, als sein Geld auf dem Bankhaus zu beschlagnahmen. So, wie sie’s in früheren Jahrhunderten mit allen Juden gemacht haben.«
    Darauf fiel mir nichts ein. Schließlich sagte ich: »Wenn ich nicht wüsste, dass du’s nicht darfst, würde ich dich auf einen Trunk einladen. Irgendwo in dieser Wüstenei muss es doch ein heil gebliebenes Wirtshaus geben.«
    »Danke, ich nehme an.« Fischel wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab. »Mein Onkel kriegt’s ja nicht mehr mit.«
    »War er so streng in der Auslegung eures Glaubens?«
    »Das war er. Im Gegensatz zu mir, wie du weißt. Ich hatte meine liebe Not, meine Wirtshausbesuche vor ihm zu verbergen. Allerdings: An einem so großen Fest wie deiner Examensfeier konnte ich nicht teilnehmen. Das hätte er bestimmt spitzgekriegt.«
    »Dann wollen wir das jetzt nachholen.«
    »Ja, wir wollen einen trinken. Wenn wir’s ließen, würden die Toten auch nicht wieder auferstehen. Ich habe gehört, in der Nähe vom Aeschentor sollen die Erdstöße nicht so stark gewesen sein. Da gibt’s ein gutes Wirtshaus,
Zem swartzen Sternen
heißt es. Das soll noch stehen. Der Wirt hat dreierlei Wein und ein kräftiges Mahl auf dem Herd.«
    »Versuchen wir unser Glück.«
    Wir gingen am Ufer entlang, zur Linken den Rhein, zur Rechten die steinerne Ödnis, passierten die innere Stadtmauer und hielten uns dann südlich. Kurz darauf erblickten wir das Wirtshaus, welches in der Tat noch stand, und Fischel sagte: »Ein Lichtblick in all der Dunkelheit.«
    Wir gingen hinein. Drinnen herrschte Dämmerlicht und gähnende Leere. Das mochte an der frühen Vormittagsstunde liegen oder an den schrecklichen Geschehnissen, die Basel heimgesucht hatten. Vielleicht auch an beidem. In jedem Fall suchten wir uns einen Platz gleich neben dem Schanktisch und setzten uns.

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