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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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hatte, mochte ich nicht widersprechen. »Gott befohlen, Herr Professor.«
    Ich verließ das merkwürdig leere Haus, bog in die Michaelisstraße ein, von der nur ein paar Schritte weiter rechts die Augustinerstraße abzweigte. Ich grüßte Kaspar, den Torposten, und wollte rasch in meine Kammer gehen, wo Schnapp schon auf mich wartete, doch Kaspar hielt mich auf. Er wirkte überaus unruhig und ängstlich, als er sagte: »Verzeiht, Herr Magister, aber seit einer Stunde darf ich niemanden mehr in die Burse hinein- oder herauslassen.«
    »Was soll das heißen?«, fragte ich.
    »Darüber darf ich nicht sprechen.«
    »Gütiger Himmel, du machst es spannend, Kaspar. Du verwehrst mir den Zugang und willst mir nicht einmal sagen, warum?«
    »Ich … nun …«
    »Was ist los? Heraus mit der Sprache.«
    Kaspar beugte sich vor und senkte die Stimme. »Wenn ich Euch reinlasse, richtet Euch darauf ein, dass Ihr für länger im Haupthaus bleiben müsst.«
    »Warum? In Gottes Namen, sprich endlich!«
    »Pst, nicht so laut, Herr Magister. Es ist … die Pestilenz.«
    »Was sagst du da?« Meine Stimme muss mehr als ungläubig geklungen haben, denn fast beleidigt versicherte Kaspar mir, er sage die Wahrheit. Zwei Soldaten der Stadtwache wären da gewesen und hätten die Order verbreitet, sämtliche öffentlichen Gebäude sowie die der Universität müssten geschlossen werden. Dann hätten sie mit Kreide ein großes »P«, das für »Pest« stünde, auf die Türen gemalt und wären weitergezogen.
    »Ich glaube dir«, sagte ich und tat so, als sei ich die Ruhe selbst. »Und nun lass mich hinein.«
    Ohne seine Antwort abzuwarten, schob ich ihn beiseite und ging über den Hof zum Haupthaus, erklomm die Treppe zum Oberstock und musste mich wenig später Schnapps Wiedersehensfreude erwehren. »Die Pest ist ausgebrochen, mein Großer«, sagte ich zu ihm. »Was soll nun werden?«
    Schnapp wedelte mit dem Schwanz. Seine Augen fragten, ob ich nicht Lust auf einen Spaziergang hätte. »Später vielleicht«, sagte ich und ließ mich erst einmal auf mein Bett nieder. Die Pest!, schoss es mir durch den Kopf. Heiliger Vater, was soll nun werden? Die Seuche musste sich, aus dem Mansfelder Raum kommend, bis nach Erfurt ausgebreitet haben. Der Gedanke überraschte mich, denn in der Stadt hatte es geheißen, es handele sich dieses Mal um eine schwache Abwandlung der Geißel Gottes. Sie hätte in den letzten Wochen nur noch wenige Meilen pro Tag zurückgelegt und sei inzwischen zum Stillstand gekommen. War das nur ein Versuch der Stadträte gewesen, Panik unter der Bevölkerung zu verhindern? Aber warum hatte man dann nicht schon früher vorsorgende Maßnahmen ergriffen? Fragen über Fragen, die sich mir aufdrängten und die ich allesamt nicht beantworten konnte.
    Ich erhob mich wieder. »Vielleicht weiß Luther mehr«, sagte ich zu Schnapp. »Komm, wir gehen mal hinüber zu ihm.«
    Doch Luther war nicht in seiner Kammer. Ebenso wenig wie Tafelmaker, von Hutten, von Prüm oder Eobanus Koch. Die Ruhe auf dem Gang, wo sonst ständig Stimmen, Lachen oder Gesänge erklangen, kam mir absonderlich vor und erinnerte mich an die Atmosphäre in de Berkas Haus. Endlich stieß ich auf einen der Brüder. Es war Hiob Rotenhan, der Theologe, der bei jeder Gelegenheit den kommenden Weltuntergang prophezeite. Heute hatte er wahrhaftig Grund dazu, und das sagte ich ihm auch.
    »Ich weiß von der Pest, Lukas«, antwortete er, während er einen kleinen Gegenstand vor mir zu verbergen suchte.
    »Was hast du da?«, fragte ich.
    »Ach nichts.«
    »Dafür, dass es nichts ist, machst du ein ziemliches Geheimnis darum. Zeig schon.«
    Widerstrebend öffnete Rotenhan die Hand. Zum Vorschein kam eine kleine goldfarbene Madonna mit Jesuskind. Ihr Gesicht wies deutliche Kratzspuren auf.
    »Nanu, was hat das zu bedeuten?«
    Rotenhan war noch immer verlegen. »Das ist eine Schluckmadonna, Lukas. Man kratzt etwas ab und gibt es in Wasser oder Wein und trinkt es dann.«
    Ich konnte nicht ganz folgen. »Du gibst die Kratzpartikel in eine Flüssigkeit und trinkst sie?«
    »Ja, Lukas, ich habe mir die Madonna segnen lassen. Wenn ich die Spuren ihres Antlitzes trinke, bin ich gegen alles Böse gefeit.«
    Ich musste an Splendorius, den Ablassschwindler, denken. »Und das glaubst du?«
    »Ja, sicher.«
    Ich ließ das Thema fallen, denn ich wollte ihm seine Illusionen nicht zerstören. Vielleicht würde er die Kraft, die aus der Einbildung erwuchs, noch dringend brauchen. »Weißt du, wo

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