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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ich war mir nicht sicher. »Warte«, sagte ich zu dem Mädchen und knöpfte ihr den Kittel zu, »ich bin gleich wieder da.«
    In de Berkas Krankenzimmer nahm ich mir das Werk
De Signis Pestis
vor. Es stammte von einem Zisterziensermönch des Klosters Campodios in Nordspanien und behandelte die Anzeichen der Pest und pestähnlicher Krankheiten. Sein Name lautete Bruder Pankratius. Pankratius’ Ausführungen waren hochgelehrt und episch breit, doch in der Quintessenz bestätigten sie meine Vermutung. Ich jubelte innerlich und eilte zurück zu meiner Patientin. »Ich glaube, ich weiß, was dir fehlt«, sagte ich zu ihr. »Du hast das Beulenfieber, eine niedere, schneller verlaufende Form der Pest. Die Behandlung der Krankheit ist die gleiche wie bei der richtigen Seuche, nur dass sie erfolgversprechender ist.«
    »Muss … muss ich nicht sterben?« Es waren die ersten Worte, die das Mädchen sagte.
    »Mit Gottes Hilfe wirst du leben.«
    Ich erhob mich, um ihr wollene Decken zu holen und einen stärkenden Trunk zuzubereiten. Die Aussicht, wenigstens dieses Mädchen durchbringen zu können, beflügelte mich. Doch für ihr Lager würde ich mir etwas einfallen lassen müssen. Sie konnte nicht die ganze Nacht auf der steinernen Bank liegen. Die Kälte würde in sie hineinkriechen und sie erstarren lassen wie eine Tote.
    »Eins nach dem anderen«, murmelte ich. Ich deckte sie zu und gab ihr zu trinken. »Hast du Schmerzen?«, fragte ich.
    »Mein Kopf … so schwer«, hauchte sie.
    Ich dachte an meinen eigenen Kopf und die schmerzende Beule, aber die Zeit, mir selbst leidzutun, hatte ich nicht. »Ich mache dir einen heißen Aufguss von Weidenrinde«, sagte ich und hoffte, die Wirkung der Arznei würde ausreichend sein. Von dem stärkeren Laudanum, das fast zur Neige gegangen war, mochte ich ihr nichts geben. Ich wollte es aufsparen für den Fall, dass de Berka noch davon brauchte.
    Ich eilte in den Küchenanbau und bereitete dort den Trank zu. Auf dem Rückweg kam ich an der Kammer der Köchin vorbei. Das brachte mich auf einen Einfall. Das Bett der Köchin war ungenutzt, ich konnte es für meine Patientin gut verwenden. Allerdings würde ich das Bettgestell nicht ins Haupthaus schaffen können, weil es zuvor zerlegt werden musste. Doch das Bettzeug würde nützen.
    Ich nahm Kissen und Decken auf einem Weg mit und verkündete froh: »Wir werden deine Krankheit mit zweifacher Wärme bekämpfen – von innen mit der Kraft der Weidenrinde, von außen mit den Daunen der Gans.«
    Sie antwortete nicht, aber ich sah die Dankbarkeit in ihren Augen. Ich breitete die Decken und Kissen auf den Dielen aus, hob sie behutsam von der Bank herunter und bettete sie auf den Boden. Dann nahm ich ihren Kopf in meine Armbeuge und flößte ihr von dem heißen Aufguss ein. Sie trank in winzigen Schlucken und ließ sich danach erschöpft zurücksinken.
    »Schlafe«, sagte ich. »Eigentlich müsste ich dir zusätzlich Wadenwickel machen, aber schon beim Professor fehlte mir die Zeit dafür. Ich muss nach dem armen Mann im Behandlungsraum sehen.«
    Ich verließ sie und ging hinüber. Die Tür stand halb offen. Ich trat ein und schloss sie hinter mir. Für den Fall, dass der Kranke inzwischen tot war, wollte ich dem Mädchen seinen Anblick ersparen.
    Der Mann lag auf der Behandlungspritsche und war von beeindruckender Erscheinung. Er trug eine kostbare Schaube, in deren langen Ärmeln sich Schlitze zum Durchgreifen befanden, darunter Scheckenrock und Spitzenhemd. Die kräftigen Waden steckten in feinsten Seidenbeinlingen. Sein Gesicht war gerahmt von einem gepflegten eisgrauen Bart. Zweifellos ein Herr von Stand – und der lebende Beweis dafür, das die Pest vor niemandem haltmachte.
    Doch atmete der Mann überhaupt noch? Ich nahm eines seiner kräftigen Handgelenke und versuchte, den Puls zu fühlen. Ich fühlte nichts. Nur die hellen Abdrücke an den Fingern, wo einstmals Ringe gesessen hatten, fielen mir auf. Jemand hatte es nicht abwarten können und sie an sich genommen. Gottlose Verwandte, vielleicht auch Diebe auf der Straße. Ich glaubte schon, er wäre tot, als er rasselnd Luft holte. Tod und Leben rangen um die Oberhand in ihm, aber es war abzusehen, dass der Tod obsiegen würde. Der Mann war nicht mehr bei sich. Ich konnte nichts für ihn tun, außer ihn in Frieden sterben zu lassen.
    Ich legte ihm die Hand auf die Stirn und sprach ein kurzes Gebet.
    Als ich den Behandlungsraum verließ, lief ich Hinz in die Arme. An ihn hatte ich gar

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