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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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guter Obhut. Hier wirft dich niemand auf die Straße, das verspreche ich dir.«
    Ich verließ sie und ging zu de Berka, der jedoch nach wie vor schlief. »Komm, mein Großer«, sagte ich zu Schnapp, »wir gehen hinaus auf den Hof.« Dort wusch ich mir Kopf und Oberkörper unter der Pumpe. Das eiskalte Wasser erfrischte mich. Anschließend versuchte ich, Schnapp zur Verrichtung seines Geschäfts zu überreden, doch wieder war es vergeblich.
    »Gut«, sagte ich zu ihm, »dann gehen wir jetzt auf die Straße, aber die Pestausrüstung ziehe ich nicht noch einmal an, da mag kommen, was will.«
    Kaum hatten Schnapp und ich die Pergamentergasse betreten, rumpelte uns ein Karren entgegen. Es waren Eustach und Meister Karl mit weiteren Toten. »Ich habe zwei dabei, die noch leben, Herr«, sagte Eustach, nachdem er mir einen guten Morgen gewünscht hatte.
    »Heißt das, du willst sie bei mir abladen?« Mir schwoll der Kamm. »Du weißt, dass ich mich nicht um sie kümmern kann.«
    Eustach schob die Pestkappe nach oben und fuhr sich in die weißen Haarbüschel. »Gewiss, Herr, aber der von gestern, der Ratsherr, der ist ja tot.«
    »Woher weißt du das?«
    »Habe Hinz getroffen.«
    »Soso.«
    Während Eustach das sagte, näherte sich ein zweiter Karren, der hoch mit Stroh beladen war. Zu meinem Erstaunen sah ich, dass er von Muhme Lenchen gezogen wurde. »Gott zum Gruße, Herr«, sagte sie und machte keuchend halt. »Ich habe gehört, dass Ihr Pestkranke aufnehmt. So ist’s recht! Da will unsereiner nicht tatenlos zusehen. Das Stroh reicht mindestens für ein halbes Dutzend guter Lager. Fasst mal mit an, Herr.«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr beim Abladen zu helfen. Meine halbherzige Gegenwehr, ich hätte weder Kraft noch Zeit, mich um weitere Kranke zu kümmern, wischte sie mit einer Handbewegung beiseite. »Ihr habt ja Hinz, der Euch hilft, und ich bleibe auch. Ihr braucht jemanden, der es versteht, eine gute Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, oder könnt Ihr das etwa selbst?«
    »Nein, das nicht«, musste ich einräumen, »aber …«
    »Na seht Ihr. Hinz hat mir erzählt, das Haus hätte eine große Eingangshalle. Dort werden wir die Krankenstation einrichten. Eustach und Meister Karl werden die Kranken bringen und die Toten abtransportieren, so hat jeder seine Aufgabe, und Ihr, Herr, braucht Euch nur noch ums Medizinische zu kümmern.«
    Eustach und Meister Karl grinsten und nickten einträchtig.
    »Das ist eine Verschwörung«, protestierte ich schwach.
    »Das ist Selbsthilfe, Herr«, sagte Muhme Lenchen. »Die Hospitäler sind voll, und Ihr habt ein gutes Herz. Ihr könntet angesichts der vielen Hilfsbedürftigen nicht untätig bleiben. Habe ich recht?«
    »Bringen wir das Stroh ins Haus«, sagte ich.
     
    Der ganze Dienstag verging mit weiteren Arbeiten, um unser »Nothospital«, wie Muhme Lenchen es nannte, einzurichten. Am Ende konnte sich unser Werk sehen lassen: Wir hatten genug Platz, wir hatten genug Vorräte, und wir hatten genügend Hilfskräfte, um die Kranken zu versorgen. Das Einzige, was uns fehlte, waren chirurgische Instrumente. Ich schickte deshalb Hinz in das Haus von Doktor Silvanus, damit er von dort das Besteck des verstorbenen Arztes hole. Er erledigte die Aufgabe schnell und zuverlässig, genauso wie alles andere, was ich ihm auftrug.
    Am Nachmittag erschien ein prächtiges Fuhrwerk mit einem einsilbigen Kutscher und zwei Hilfsmännern in der Pergamentergasse. Sie hatten den Auftrag, den »Herrn Rat« abzuholen, und schwiegen sich ansonsten aus. Kein Wort des Grußes oder Dankes durch von Selfischs Familie. Ich zuckte mit den Schultern und arbeitete weiter.
    Am Abend lagen sieben Todkranke in der Eingangshalle, betreut von Muhme Lenchen, Hinz und mir. Allen erging es wie Lilott, sie hatten niemanden mehr außer uns, denn ihre Familien hatten sich aus Angst vor Ansteckung von ihnen abgewandt. Umso dankbarer waren sie für das wenige, das wir für sie tun konnten. Wir wuschen sie, betteten sie, linderten ihre Schmerzen und verbanden sie. Und sprachen ihnen immer wieder Trost zu. Ja, die Pest blickte uns aus vielen Gesichtern entgegen, hinterhältig und siegesgewiss.
    De Berka jedoch lebte auch noch am nächsten Tag, was mir kaum bewusst wurde, da ich stundenlang operierte und Beulen und Schwären mit einem Pulver aus Alaun und Arabischem Gummi behandelte, während Hinz mir zur Hand ging und Muhme Lenchen kochte. Eustach und Meister Karl brachten und holten im steten Wechsel die Kranken und

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