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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Sprosse der Pflanze entgegen.
    Ich sah mir die Sprosse an. Die Magd musste ihr letztes Geld zum Kauf des teuren Medikaments hergegeben haben. Und das für einen Mann, mit dem sie vermutlich nicht einmal verheiratet war. Das beeindruckte mich. »Wie heißt du?«, fragte ich.
    »Ich bin Trine, warum?«
    »Ingwer ist eine sehr gute Arznei.«
    Trines Augen begannen zu leuchten. »Das hat der Apotecarius auch gesagt. Schwitzen soll der Ortwin, hat er gesagt, schwitzen, schwitzen, dass die kranken Säfte rauskommen.«
    »Da hatte der Apotecarius recht.« Ich schlug die Decken zurück und blickte auf die Bubonen, die sich wie riesige hässliche Leberflecken auf der Haut ausgebreitet hatten. Ich fragte mich, was ich der armen Trine angesichts dieses hoffnungslosen Falles sagen sollte.
    »Ist es sehr schlimm, Herr Doktor? Ihr könnt ganz offen zu mir sein.«
    »Schlimm genug«, antwortete ich. »Decke Ortwin wieder zu. Und gib ihm weiter von dem heißen Ingwerwasser. Aber komm ihm dabei mit dem Gesicht nicht zu nahe.«
    »Ist gut, Herr Doktor.«
    »Und bete für Ortwin.«
    »Ja, Herr Doktor.«
    »Und für dich.«
    Trine begann, in ihrer Schürzentasche zu nesteln, aber ich sagte: »Du bist mir nichts schuldig, ich muss jetzt gehen.«
    »Danke, Herr Doktor, wird … wird mein Ortwin wieder gesund?«
    »Das liegt nicht in meiner Hand. Trage die Münzen, die du mir geben wolltest, in die Kirche und zünde dort ein Licht für ihn an. Dann wird Gott entscheiden.«
    »Er segne Euch.«
    Ich verließ die ärmliche Behausung und trat wieder auf die Straße. Der Mut, Trine die Wahrheit zu sagen, hatte mir gefehlt. Aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie mich vielleicht auch so verstanden hatte.
    Ich ging die Michaelisstraße hinauf, den treuen Schnapp an meiner Seite, und meine Gedanken eilten voraus zu de Berka, den ich mehrere Stunden allein gelassen hatte. Ob er noch am Leben war? Oder hatte der Tod ihn ereilt wie seinen Kollegen Doktor Silvanus? Der Gedanke beunruhigte mich. Plötzlich stellte ich mir vor, de Berka hätte sein Leben ausgehaucht, und ich wäre nicht an seiner Seite gewesen, nur weil ich meinen Hund hatte ausführen und ein paar Nahrungsmittel hatte besorgen wollen.
    Meine Schritte wurden schneller. Ich begann, unter der schweren Schutzbekleidung zu schwitzen. Eine Frau lag vor mir auf der Straße, fast wäre ich über sie gestolpert. Ich wollte an ihr vorbeilaufen. Dann besann ich mich. Ich konnte nicht so tun, als gäbe es das ganze Elend um mich herum nicht. Die Frau lag auf der Seite. Sie schaute mich aus leeren Augen an.
    Mein Blick fiel auf die gegenüberliegende Haustür. Sie war mit einem großen »P« gekennzeichnet. Die verfluchte Pest! Ich musste mir Gewissheit verschaffen. Ohne zu überlegen, stieß ich die Frau mit meinem Stock an. Noch einmal. Und noch einmal. Beim dritten Mal bewegte sie sich. Die Berührung hatte es an den Tag gebracht. Sie lebte. Dazu also ist der Peststock nütze!, schoss es mir durch den Kopf.
    Die Pupillen der Frau begannen zu wandern. Sie sah mich mit großen Augen an. Ihre Lippen formten ein Wort, das ich nicht verstand. Aber ihr Gesichtsausdruck sagte es mir. »Hilfe«, hatte sie geflüstert.
    »Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, mein Großer«, seufzte ich. »Wir müssen die Frau tragen.« Ich hob sie hoch und legte sie mir über die Schulter. Sie war leicht wie eine Feder. Ich ging mit ihr weiter die Michaelisstraße hinauf, passierte rechter Hand das Collegium Maius. So leicht meine Last auch war, auf Dauer wog sie schwer, und ich war nicht gut bei Kräften. Kurz vor de Berkas stattlichem Anwesen begegnete ich zum vierten Mal einer Streife, was mich aber kaum noch überraschte. Wieder bestand sie aus zwei Soldaten, die ich nicht kannte. Der eine wollte mich ansprechen, aber ich kam ihm zuvor. »Es wäre wünschenswert, wenn diese Stadt so viele Ärzte hätte wie Soldaten«, sagte ich bissig.
    »Verzeihung, Herr Doktor«, sagte der andere.
    »Wir tun nur unsere Pflicht«, sagte der eine.
    »So ist es«, sagte der andere und wollte weitergehen, aber meine Worte hielten ihn auf. »Wo Ihr schon einmal da seid, könnt Ihr die Frau für mich ins Haus tragen«, sagte ich.
    Ich erwartete, dass sie mein Ansinnen ablehnen würden, doch sie taten es tatsächlich. Sie nahmen mir die Last ab und trugen sie hinein. Schnapp und ich folgten ihnen. »Passt auf, dass Ihr die Kranke nicht fallen lasst«, ermahnte ich sie. »Ihr könnt sie einstweilen auf die Bank neben der

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