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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Säugling in einem Abfallhaufen und zog mich auf. Sie war meine Kinderwärterin. Ich werde ihr immer dankbar sein.«
    »Ja, nun«, sagte ich, »das mag sein. In jedem Fall wird sie sich Sorgen machen, wenn du nicht nach Hause kommst. Du gehst jetzt.«
    »Ja, Herr, aber ich komme wieder, wenn Ihr erlaubt. Allein schafft Ihr das hier nicht.«
    »Wir kommen auch wieder, Herr, gleich morgen früh«, sagte Eustach. »Könnt Euch drauf verlassen.«
    Meister Karl nickte ernst.
    Hinz schaute mich bittend an.
    Ich merkte, wie mein Widerstand schmolz. »Gütiger Himmel, habt ihr euch alle gegen mich verbündet?«
    Sie grinsten.
    »In Gottes Namen, meinetwegen. Lasst ihn hier. Aber wenn der Mann stirbt, bin ich nicht schuld daran.«
    Noch immer grinsend, zogen sie ab.
    Schnapp und ich blieben allein zurück. Allein? Nicht weniger als drei Patienten warteten auf mich und meine Fürsorge. Fast bereute ich meinen Entschluss. Aber nun war nichts mehr daran zu ändern. Was war als Erstes zu tun? Ich besann mich auf einen Satz, den de Berka mir und den »Herren Studiosi« einmal eingeschärft hatte. Er hieß: Ein kranker Arzt hilft den Kranken wenig. Auf mich bezogen bedeutete das: Ich musste unbedingt etwas essen, damit ich vor Schwäche nicht noch einmal umfiel.
    »Komm, mein Großer«, sagte ich zu Schnapp, »wir sehen uns mal in der Vorratskammer um.«
    Wie erhofft, hatte Hinz die Speisen von Muhme Lenchen dort untergebracht. Ich setzte mich und aß mit Heißhunger ein paar Scheiben Brot mit Schmalz. Dazu trank ich Wasser. Schnapp bekam nur von dem Brot, denn ich hatte Sorge, das Schmalz könnte zu fett für ihn sein. Die anderen Köstlichkeiten hob ich mir für später auf.
    Nachdem wir uns gestärkt hatten, ging ich ins Krankenzimmer von de Berka. Ich tat es mit klopfendem Herzen und schlechtem Gewissen. Ich wusste, ich würde es mir nie verzeihen, wenn er nicht mehr lebte.
    Doch er lebte. Er lebte! »Herr Professor?«
    Seine Augenlider flatterten. Hatte er mich verstanden? »Ich habe zwei Patienten in Euer Haus aufgenommen. Sie sind pestkrank wie Ihr. Einer davon ist eine Frau. Ich habe beide noch nicht näher untersucht. Wollt Ihr etwas Wasser?«
    Er antwortete nicht. Ich scherte mich nicht darum, sondern sprach weiter, während ich die Decke zurückschlug und seinen Leib nach neuen Pestbeulen absuchte. Ich fand keine. Doch in den wenigen Tagen seiner Krankheit hatte das Fieber ihn so ausgezehrt, dass sämtliche Knochen hervortraten, besonders die Rippen. Er erinnerte mich sehr an Adam, das Skelett.
    Ich schob den unpassenden Gedanken beiseite und holte ihm zu trinken. Wieder flößte ich ihm so lange von dem kühlen Nass ein, bis ich glaubte, er habe genug. »Habt Ihr Schmerzen?«, fragte ich.
    Die Antwort blieb aus. Doch ich nahm an, dass er nicht mehr litt, weil keine neuen Beulen hinzugekommen waren. Dann deckte ich ihn zu bis zum Kinn. Seines Fiebers wegen hätte ich ihm noch Wadenwickel machen müssen, aber dazu fehlte mir die Zeit. Die anderen Patienten warteten.
    Ich ging in die Eingangshalle und schaute nach der Frau, die auf der Bank bei der Tür lag. Sie schien sich nicht gerührt zu haben. Ich beugte mich über ihr fieberheißes Gesicht und erkannte, dass sie noch jung war, sehr jung. Vielleicht vierzehn Jahre alt. Ich sprach sie an: »Kannst du mich hören?«
    Da sie nicht antwortete, rüttelte ich sie an der Schulter. Sie schlug die Augen auf. »Erlaubst du, dass ich dich untersuche? Ich muss dir dazu den Kittel öffnen.«
    Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
    »Betrachte mich als Arzt. Ich will dir helfen. Erlaubst du es nun?«
    Sie nickte schwach.
    Obwohl sie einverstanden war, zögerte ich einen Augenblick, denn das, was ich vorhatte, verstieß gegen die Gebote der Kirche, nach denen ein Mann nur die ihm vor Gott angetraute Frau nackt sehen durfte. Doch die Kirche mit ihrem mahnenden Zeigefinger war weit weg. Ich öffnete die Holzknöpfe des Kittels und schob den Stoff auseinander. Ich hatte fest damit gerechnet, Bubonen zu entdecken, so fest, dass ich die dunklen Brustwarzen des Mädchens zunächst dafür hielt. Doch es gab keine Bubonen. Weder in der linken noch in der rechten Achsel und auch nicht am Hals. Die Überprüfung der Leisten ergab das gleiche Bild.
    Erst danach fielen mir die Flecken auf. Sie waren leicht erhaben, groß wie ein Gulden und blassrosa, dazu unregelmäßig über den Oberkörper verteilt. Wenig auffällig, aber vorhanden. Was hatte das zu bedeuten?
    Ich hatte eine Vermutung, aber

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