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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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stimme, Gottes Sakrament nicht in der gebührenden Form erteilen zu können.
    Er hatte gelächelt und geantwortet: »Es ist Gottes Wille, wann und wo ein Mensch stirbt, und genauso ist es sein Wille, ob ich den Zeitpunkt verpasse oder nicht. Soll ich mit Gott deswegen hadern?«
    »Gewiss nicht.«
    »Da seht Ihr’s. Für Gottes Wort ist es nie zu spät …«
    »Hinz, versuche bitte, Vater Eusebius zu finden«, wiederholte ich.
    Hinz sprang auf und eilte zur Tür. »Ja, Herr, ich werde sehen, wo er steckt.«
    Es verging kaum der vierte Teil einer Stunde, da war er schon zurück, den Priester an seiner Seite. Vater Eusebius sagte: »Ich höre, eine junge Christin namens Lilott weint um ihre Eltern. Lasst uns eine Andacht feiern und die Toten auf ihre Reise zu Gott schicken.«
    Lilotts kleine Kammer wurde vorübergehend zu einer Kapelle, die Vater Eusebius segnete. Dann schlug er das Kreuz vor den Anwesenden – es waren, neben den Verstorbenen, Lilott, Hinz, Muhme Lenchen, Eustach, Meister Karl und ich – und begann mit seinen Gebeten. Er sprach lange und mit Inbrunst, und am Ende sagte er, auf den Leichnam von Lilotts Vater weisend: »Aufgrund der mir vom Apostolischen Stuhl verliehenen Vollmacht gewähre ich dir Ablass und Vergebung aller Sünden, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
    Dann wiederholte er dasselbe noch einmal, wobei er auf den Leichnam von Lilotts Mutter deutete, und schloss mit einem kraftvollen Amen.
    »Danke, Vater«, sagte ich, als die schlichte Zeremonie vorüber war, und Muhme Lenchen fragte: »Wollt Ihr nachher mit uns essen? Ihr seid von Herzen willkommen.«
    Vater Eusebius winkte ab. »Ein andermal gern, Muhme Lenchen, aber ich muss weiter. Es wird in diesen Tagen viel zu viel gestorben.«
    Wenig später hatte er das Haus verlassen. Er ließ Trost und Hoffnung zurück.
    Ich sagte: »Eustach und Meister Karl, ladet die Toten auf und fahrt mit ihnen zum Friedhof, damit sie ihre letzte Ruhe in geweihter Erde finden. Nehmt Lilott mit, wenn sie dabei sein möchte.«
    »Ich möchte auch dabei sein«, bat Hinz. Er sah Lilott an. »Wenn ich darf?«
    Sie nickte. Ihr kamen schon wieder die Tränen. Hinz nahm sie tröstend in den Arm. Sie ließ es geschehen.
    »Gott befohlen«, sagte ich. »Nehmt mir’s nicht übel, aber ich komme nicht mit. Jemand muss sich um die Kranken kümmern.«
    »Und jemand ums Essen.« Muhme Lenchen steuerte entschlossen die Küche an.
    Ich blieb allein mit den Kranken zurück. Die große Eingangshalle wirkte auf einmal viel größer auf mich. Ich schritt die Krankenlager ab, die Niederschrift für die
Observationes de peste laborantibus
in der Hand, und machte mir Notizen zu den Befindlichkeiten eines jeden. Dann ging ich wie immer dazu über, die Patienten von ihrem eigenen Schmutz zu säubern. Ich tat es mit viel Wasser, vielen Tüchern und der notwendigen Entschlossenheit. Selbstmitleid führte bei dieser Tätigkeit zu nichts.
    Die Kranken dankten es mir mit einem Blick oder einem Wort, und ich sagte mir: Auch wenn alle von ihnen ausnahmslos sterben sollten, so ist es doch eine sinnvolle Arbeit, denn sie ist menschlich.
    Ich wollte gerade mein Tagewerk beenden und zu Muhme Lenchen in den Küchenanbau gehen, als eine fremde Stimme mich aufhielt. »Seid Ihr der Studiosus Lukas Nufer?«
    Die Stimme gehörte einem Wachsoldaten, der mit wichtiger Miene in der Tür der Eingangshalle stand. Wie üblich war er in Begleitung eines Kameraden, der sich nicht weniger bedeutend vorkam. Ob ich den beiden schon einmal begegnet war, konnte ich nicht sagen, in jedem Fall fühlte ich mich gestört. »Könnt Ihr nicht anklopfen, bevor Ihr eintretet?«, fragte ich nicht eben freundlich.
    Der Soldat überging meine Worte. »Wenn Ihr der Studiosus Nufer seid, muss ich Euch verhaften. Ich habe hier den entsprechenden Befehl des Hauptmanns der Stadtwache.«
    Ein Schreck fuhr mir in die Glieder. Ich war mir zwar keiner Schuld bewusst, aber ich ahnte nichts Gutes. »Und darf ich fragen, warum?«
    »Ihr übt die Tätigkeit eines Arztes aus, ohne Arzt zu sein. Ihr seid weder ein
Doctor medicinae
noch habt Ihr eine Approbation. Dies wurde dem Stadtmedicus, dem ehrenwerten Doktor der Medizin, Valentinus Sabber, zugetragen. Er ist es auch, der Euer schändliches Fehlverhalten zur Anzeige brachte.« Der Soldat rollte ein Pergament aus und begann zu lesen: »Im Namen des Schultheißen und des Rates der Stadt Erfurt bin ich beauftragt, Euch festzunehmen und unverzüglich in den

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