Der Medicus von Heidelberg
Augen funkelten. »Ich will nicht, dass die beiden aufgenommen werden.«
»Ach, und warum nicht?«
»Sie … sind es nicht wert.«
Lilotts Gebaren kam mir seltsam vor. Ich beschloss, es sei Zeit für ein klärendes Wort. »Hör mal«, sagte ich. »Eustach und Meister Karl haben zwei Menschen gefunden, die pestkrank sind, arme Seelen, denen wir helfen müssen, weil es sonst kein anderer tut. Was hast du dagegen? Du kennst sie doch gar nicht.«
»Doch!«
»Doch?« Ich ahnte etwas. »Wer sind sie?«
Lilotts hübsches Gesicht verhärtete sich. »Meine Eltern. Vater hat mich vor die Tür geworfen, und Mutter hat es nicht verhindert. Sie haben es nicht verdient, hier zu sein. Sie sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst.«
»Das wünscht man seinem ärgsten Feinde nicht«, sagte ich scharf. »Du gibst vor, ein Herz aus Stein zu haben, aber hast du es wirklich? Fühlst du dich wohl in deiner Rache?«
»Ich will keine Rache, ich will nur nicht, dass sie hier gepflegt werden. Von mir nicht und von keinem anderen.«
»Du willst Gleiches mit Gleichem vergelten. Daran hat noch nie ein Segen gehangen.«
»Was sie getan haben, können sie nie wiedergutmachen.«
»Vielleicht könnten sie es, wenn du sie ließest? Wir schaffen sie jetzt herein, und später redest du mit ihnen.«
»Nein.«
»Wie du willst. Ob du mit ihnen redest, ist deine Sache. Aber ich würde es dir empfehlen, denn du wirst dich danach wohler fühlen. Denk daran, dass du es in ein paar Stunden vielleicht nicht mehr kannst. So, und jetzt Schluss damit. Eustach und Meister Karl, seid so freundlich und bringt die beiden ins Haus.«
»Nein, ich will es nicht!« Lilott stampfte mit dem Fuß auf, doch als Meister Karl sie mit sanftem Druck zur Seite schob, musste sie weichen. »Ich will es nicht!« Plötzlich wandte sie sich um und lief mit wehenden Rockschößen davon.
»Die kommt schon wieder, Herr«, sagte Eustach.
»Hoffen wir’s«, antwortete ich. »Wir haben jetzt nicht die Zeit, ihr hinterherzulaufen. Die Patienten sind wichtiger.«
Am Abend jedoch, die Dämmerung zog schon herauf, war Lilott noch immer nicht zurückgekehrt, und ich begann, mir Sorgen zu machen. Ich ging auf den Hof, wo der fleißige Hinz nach wie vor damit beschäftigt war, Verbände auszuwaschen. »Hinz«, sagte ich, »Lilott ist seit Stunden fort, hast du eine Ahnung, wo sie sich aufhalten könnte?«
Hinz wrang die letzten Leinenstücke aus und hängte sie auf. »Nein, Herr«, antwortete er. »Sie muss ziemlich wütend gewesen sein.«
»Sie ist jung und verbittert. Ich wünschte, sie wäre hier, damit ich noch einmal mit ihr reden könnte.«
»Soll ich sie suchen, Herr?«
»Das würdest du tun?«
»Sie ist ein hübsches Mädchen.« Hinz lächelte schief. »Ich werde sie finden.«
Eine gute Stunde später war er zurück. Er betrat den Küchenanbau, in dem wir gemeinsam aßen, und setzte sich zu uns.
»Hast du Lilott nicht gefunden?«, fragte ich sorgenvoll.
»Doch.« Hinz griff sich eine Scheibe Brot. »Es war gar nicht so schwer. Ich habe mich erkundigt, wo sie wohnte, und bin dorthin gegangen. Sie hockte am Straßenrand, wohl genau an der Stelle, wo die Eltern sie ihrem Schicksal überlassen hatten. Sie weinte zum Herzzerreißen. Ich setzte mich zu ihr, und wir redeten lange miteinander.«
Hinz tauchte sein Brot in die Suppe und biss ein großes Stück ab. »Sie ist wirklich sehr hübsch.«
»Und wo ist sie jetzt?«, fragte ich mit einiger Ungeduld.
»In ihrer Kammer neben dem Behandlungsraum. Sie sagte, sie wolle allein sein.«
Eustach meinte mit vollem Mund: »Vielleicht hat sie sich nicht hergetraut, Herr. Ihr könnt mitunter recht streng sein.«
Daraufhin sagte ich nichts, sondern schnitt ein anderes Thema an. Wir redeten noch lange an diesem Abend, und bevor ich meinen abschließenden Rundgang antrat, schaute ich noch einmal ins Krankenzimmer von de Berka. »Justus, bist du wach?«, rief ich leise.
»Das bin ich.« De Berka lag in seinen Kissen und wirkte überaus zufrieden. »Ich habe ein paar Beinübungen gemacht. Mit einigen Fortschritten. Wollen wir wetten, dass ich spätestens in drei Tagen dort durch die Tür laufe?«
Ich lachte. »Die Wette halte ich nicht.«
De Berka wurde ernst. »Was gibt es Neues in meinem Haus? Ich hörte, es hätte Verdruss mit der kleinen Lilott gegeben?«
»Ich glaube, das hat sich inzwischen erledigt«, antwortete ich und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte.
»Sie wird lernen müssen zu verzeihen«, sagte de
Weitere Kostenlose Bücher