Der Medicus von Heidelberg
mich. »Darum geht es immer.«
Ich fuhr ihn an: »Was habt Ihr eigentlich mit der ganzen Sache zu schaffen?«
Sabber hob die Hand. »Genug jetzt, Herr Studiosus Nufer. Gestern Abend seid Ihr noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, aber ich versichere Euch: In dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«
Engelhuss nickte hämisch.
»Und nun seid so freundlich und lasst uns allein.«
Sie taten fortan so, als sei ich Luft, und mir blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge abzuziehen. Eine herbe Niederlage. Ich hatte Sabber gehörig zur Rede stellen wollen und mich stattdessen vor allen Wirtshausgästen blamiert.
Auf dem Rückweg in die Pergamentergasse beruhigte ich mich nur langsam. Zwei Fragen beschäftigten mich vor allem. Die erste: Was hatte Engelhuss mit dem Ränkespiel gegen mich zu tun? Die zweite: Wie ernst war die Drohung Sabbers zu nehmen, dass in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen sei? Auf beide Fragen hatte ich keine Antwort. Doch sprach einiges dafür, dass die Drohung auf tönernen Füßen stand, anderenfalls hätte Sabber mich tatsächlich in den Rathausturm werfen lassen.
Aber wieso eigentlich? Ich hatte dem Mann nie etwas getan, kannte ihn nicht einmal. Allerdings: Engelhuss kannte ich dafür umso besser. Beide schienen unter einer Decke zu stecken. Aber warum? Was verband einen Artisten wie Engelhuss mit dem Stadtmedicus von Erfurt?
Ich war ratlos und beschloss, die leidige Angelegenheit einfach zu vergessen. In Erfurt herrschte die Pest, viele Menschen starben, Todkranke brauchten meine Hilfe. Nur das allein zählte.
In der großen Eingangshalle von de Berkas Haus herrschte Unruhe, als ich zurückkehrte. Eustach und Meister Karl hatten fünf Verstorbene geholt und dafür drei Kranke gebracht. Eine davon war eine junge Frau. Ich schätzte, sie war höchstens drei Jahre älter als Lilott, die sich in diesem Augenblick um sie kümmerte und ihr ein frisches Strohlager bereitete.
Ich trat näher. Ein Blick genügte mir, um zu erkennen, dass bei der Frau jede Hilfe zu spät kam. Sie würde bis zum Abend verstorben sein. Trotzdem ließ ich ihr alles an Pflege angedeihen, was möglich war. Immer wieder geschahen Wunder, und ich selbst hatte eines erlebt – mit der Genesung meines Freundes de Berka.
Doch am späten Nachmittag tat die Frau ihren letzten Atemzug. Wie alle unsere Toten wurde auch sie neben die Eingangstür gelegt, damit Eustach und Meister Karl sie dort aufnehmen und vor die Stadtmauer karren konnten. Mittlerweile aber hatte das Wetter sich verschlechtert, wie so häufig in diesem verregneten Mai, und Eustach und Meister Karl ließen auf sich warten. Wahrscheinlich waren sie mit ihrem Karren irgendwo im Schlamm stecken geblieben.
Dafür kam Vater Eusebius vorbei, nass wie eine Katze, ließ sich von Muhme Lenchen einen wärmenden Trunk reichen und gab anschließend der jungen Frau das Sterbesakrament. »Nicht einmal deinen Namen kenne ich, meine Tochter«, murmelte er, nachdem er das übliche Ritual vollzogen hatte. »Aber ich habe dich im Stillen Eva genannt, Eva, wie die Urmutter aller Frauen auf Erden.«
»Wollt Ihr nicht mit uns essen, Vater?«, fragte Muhme Lenchen, doch Vater Eusebius lehnte ab. Er war schon ein alter Mann, aber rastlos wie ein junger, immer unterwegs, um Gottes Trost und Beistand zu verkünden.
So aßen wir nur zu viert im Küchenanbau, Muhme Lenchen, Lilott, Hinz und ich, denn Eustach und Meister Karl fehlten noch immer, und de Berka, der sehr schwach auf den Beinen war, hatte sich nach einem Becher Wein zu Bett begeben.
»Die tote junge Frau, ich meine Eva, tut mir so leid«, sagte Lilott plötzlich und begann zu weinen.
Hinz legte ihr beschützend den Arm um die Schultern. »Warum tut gerade sie dir leid? Es sind schon viele Frauen hier gestorben.«
»Sie war so schön, so jung, ach … ich weiß nicht.« Lilott wollte sich an Hinz schmiegen, aber ein warnender Blick von Muhme Lenchen hielt sie davon ab. »Ein Mensch ist nicht deshalb wertvoller, nur weil er schön und jung ist«, sagte die alte Frau. »Es kommt darauf an, dass er ein gutes Herz hat. Und nun tue Eustach und Meister Karl von dem Essen auf. Da kommen sie gerade.«
In der Tat waren beide Totenkärrner in der Tür erschienen, schlammbespritzt und müde, und Eustach sagte: »Das ist freundlich von dir, Muhme Lenchen, aber ich denke, wir müssen die Tote erst einmal fortschaffen. Es ist nicht gut, wenn sie zu lange zwischen den
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