Der Medicus von Heidelberg
sagte ich. »Geht nur.«
Hinter mir öffnete sich die Tür. Eustach und Meister Karl traten ein. Sie hatten fünf Sterbende dabei, mehr als üblich, und ich fragte mich, ob das mit der trüben Witterung zusammenhing. Draußen blies der Wind heftig, der Himmel war von einem bleiernen Grau. Kein schöner Tag, um sich gegen den Tod zu stemmen.
Eustach und Meister Karl trugen die Todkranken herein, und meine übliche Arbeit aus Blut, Schweiß und Tränen begann.
Gegen Mittag hatte sich das Wetter weiter verschlechtert. Es goss in Strömen, und Eustach und Meister Karl, die bei uns im Nothospital Zuflucht gesucht hatten, rann der Regen in Bächen von der Kleidung herunter. »Zieht Euch erst mal etwas Trockenes an«, sagte ich zu ihnen. »In unseren Beständen müsste sich etwas Passendes finden.« In der Tat war es so, dass Hinz und ich in den zurückliegenden Tagen jede freie Stunde genutzt hatten, um in den verlassenen Häusern im Viertel nach Kleidung, Decken und Nahrung zu suchen. Wenn wir etwas fanden, nahmen wir es ohne schlechtes Gewissen an uns, denn niemand konnte wissen, ob die Bewohner jemals zurückkommen würden.
Als Eustach und Meister Karl sich umgezogen hatten, nahm ich sie mit in den Küchenanbau, denn es war zur guten Gewohnheit geworden, dass sie das Mittagsmahl mit uns teilten. Muhme Lenchen und Lilott hatten den Tisch bereits gedeckt, und Hinz, den das schlechte Wetter vom Hof vertrieben hatte, war ihnen dabei zur Hand gegangen.
»Es gibt frisch gebackenes, weißes Brot und eine Portion Wildpastete für jeden«, verkündete Muhme Lenchen. »Vom Wetter lassen wir uns den Appetit nicht verderben.«
Dem wurde nicht widersprochen, und wir nahmen Platz, wobei ich es so einrichtete, dass ich nicht neben Lilott saß. Ich war noch immer etwas verlegen, hatte aber, wie sich zeigte, keinen Grund dazu, denn sie gab sich freundlich und natürlich und beteiligte sich rege an der Unterhaltung.
Am Nachmittag brach die Sonne durch die Wolken, und Eustach und Meister Karl machten sich wieder auf den Weg. Ich arbeitete in der Eingangshalle, wo ich die eingetroffenen Patienten untersuchte und von Fall zu Fall entschied, was am dringendsten zu tun war. Plötzlich sagte jemand hinter mir: »Ich will mit Euch die Kranken pflegen.«
Ich fuhr herum und blickte Lilott direkt in die Augen.
»Ihr habt es mir versprochen«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Wenn du mir helfen willst, musst du auch bereit sein, den anderen zu helfen«, entgegnete ich. »Aber wenn du darauf bestehst, kannst du damit beginnen, die Kranken zu reinigen. Die meisten von ihnen beschmutzen sich mehrmals am Tag.«
Lilott schluckte, sagte aber nichts.
Ich stellte Eimer und Tücher bereit und zeigte ihr, wie sie vorgehen sollte. »Du musst Kraft, Mitleid und Zuwendung aufbringen, wenn du die Arbeit gut machen willst«, erklärte ich. »Oder einfach nur Liebe.«
»Ich werde Liebe aufbringen«, sagte Lilott und sah mich dabei an. »Was ich will, schaffe ich auch.«
»Gut, dann lass uns nicht länger reden. An die Arbeit.«
Gemeinsam versorgten wir die Kranken, und Lilott zeigte sich sehr anstellig. Einige Male musste ich ihr zwar helfen, weil ihre Muskeln noch nicht zu alter Stärke zurückgefunden hatten, aber das war schon alles. Sie machte die Arbeit, als hätte sie nie etwas anderes in ihrem Leben getan.
»Du stellst dich sehr geschickt an«, lobte ich sie, und ich sah, wie sie vor Freude errötete. Um den Moment der Verlegenheit zu überbrücken, fuhr ich fort: »Draußen klingt es, als sei der Karren von Eustach und Meister Karl zurück. Geh hinaus und sieh nach, ob du mit anfassen kannst.«
Lilott verschwand, während ich mir Notizen über die neuen Patienten machte, um sie später in meine
Observationes de peste laborantibus
zu übertragen.
»Drei Sterbenskranke haben wir aufgelesen, Herr. Wie ich’s sehe, wird ihr letztes Stündlein bald schlagen.« Mit geübtem Griff trug Eustach einen Patienten in die Eingangshalle. Er wurde wie immer unterstützt von dem bärenstarken Meister Karl.
»Das ist der Erste.« Sie ließen den kraftlosen Körper auf eines der freien Strohlager sinken. »Bei den beiden anderen scheint sich’s um Mann und Frau zu handeln. Komm, Karl, holen wir sie rein, damit wir fertig werden.« Beide strebten zurück zur Tür, prallten dort jedoch mit Lilott zusammen.
»Nein!« Ihr Ruf war fast ein Schrei.
Ich schaute von meinen Notizen auf. »Nein? Wie meinst du das?«
Lilott verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher