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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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mit einem Hund anfangen?«
    »Behalten.« Fischel trank in langen Zügen. »Vielleicht wirst du eines Tages froh sein, einen Beschützer zu haben.«
    Während er das sagte, erschien die Wirtin wieder. Sie gab mir Schnapp auf die Hand und sagte: »Hier habt Ihr ihn zurück. Alles ist erledigt. Merkt Euch: Man muss einem Welpen regelmäßig die Gelegenheit geben, seine Geschäfte zu machen. Dann passiert auch nichts.«
    »Danke, ich werde es mir merken«, antwortete ich. Ich nahm Schnapp und steckte ihn vorsichtig zurück in die Tasche. Meine Hand ließ ich dort, um ihn streicheln und beruhigen zu können. Dann machte ich einen letzten Versuch. »Fischel«, sagte ich, »es wäre wirklich besser, du würdest den Kleinen nehmen. Du sagst selbst, du willst das Studium an den Nagel hängen. Da hättest du doch Zeit für ihn. Ich aber will weiter zur Universität gehen und Arzt werden. Da ist mir ein kleiner Hund nur im Weg.«
    »Soso. Und wo, bitte schön, willst du in Basel studieren? Der Lehrbetrieb dürfte für mindestens ein halbes Jahr ausfallen, wenn nicht für länger.«
    Was er sagte, hatte ich mir selbst schon gedacht, aber nicht recht wahrhaben wollen. »Ach, und weil ich hier nicht weiter studieren kann, muss ich den Hund behalten? Wo bleibt denn da die Logik?«, fragte ich ironisch.
    »Was hat das mit Logik zu tun? Oder mit Dialektik? Oder mit Aristoteles? Du hast einen kleinen Hund aufgelesen. Du hast es getan, weil er dich angeguckt hat und du es nicht übers Herz gebracht hast, ihn zurückzulassen. So einfach ist das. Nun gehört er dir. Und was dein weiteres Studium angeht: Du wirst schon eine andere Universität finden. Ich dagegen muss eine andere Stadt finden, und das wird weitaus schwieriger werden, weil ich Jude bin und kein Geld habe. Die einzige Geldquelle, die ich jemals hatte, war mein Onkel. Der Allmächtige, dessen Name gesegnet sei, möge sich seiner armen Seele annehmen.«
    »Was für ein Mensch war er denn?«, fragte ich, denn ich spürte, dass es Fischel guttun würde, über seinen Onkel zu reden.
    »Er war der beste Mensch, den ich jemals kannte.« Fischel trank einen weiteren großen Schluck. Es sah aus, als wolle er sich Mut antrinken, bevor er über den Verstorbenen redete. »Er war sehr fromm, und es fiel ihm unendlich schwer, im Alltag weder die Kippa noch Schläfenlocken noch Quasten an den Zipfeln seiner Kleidung tragen zu können, so, wie jeder strenggläubige Jude es tut. Hätte er es getan, hätten all seine Bestechungsgelder nichts mehr genützt. Er hätte die Stadt verlassen müssen.«
    »Und das wollte er nicht. Deinetwegen, stimmt’s?«
    »Ja, stimmt. Als meine Eltern damals starben, hat er bei seinem Leben versprochen, sich stets um mich zu kümmern …« Fischel hielt inne und wischte sich über die Augen.
    »Du brauchst nicht weiterzureden«, sagte ich. »Nur, wenn du willst.«
    »Ich will.« Fischel hatte sich wieder gefangen. »Ist vielleicht ganz gut, wenn ich mal drüber spreche. Außer dir wüsste ich niemanden, dem ich’s erzählen könnte. Dass mein Onkel sehr fromm war, sagte ich schon. Aber er war auch sehr einsam. Er hatte nur seinen Glauben und mich. Ich habe mich selten bei ihm sehen lassen. Er lebte östlich vom Spalentor, außerhalb der Stadtmauer, in einer selbstgebauten Hütte. Wer seine Behausung sah, hätte nicht geglaubt, dass er ein recht betuchter Mann war.«
    »Hatte er Arbeit?«
    »Er war Buch- und Notendrucker, der sein Handwerk in Venedig lernte. Ein geachteter Spezialist, ein Jünger der Schwarzen Kunst, wie man so sagt. Er konnte sogar Lettern mit dem Gießgerät herstellen, Lettern für die schöne alte Textur-Schrift, für die Rotunda, die Minuskel, die Schwabacher und wie sie alle heißen. Ich habe ihm ein paarmal dabei zugesehen. Er arbeitete in der Druckerei von Burkhardt Ezzelin. Ezzelin ist eigentlich gar kein Drucker, sondern Kaufmann. Dem geht es in erster Linie ums Geld, dem alten Pfeffersack. Vielleicht hat er deshalb nicht gemerkt, dass mein Onkel nicht nur das Alte Testament setzte, sondern heimlich auch an einer Ausgabe des Babylonischen Talmuds arbeitete. Nun wird er beides nicht mehr vollenden können. Ach ja …«
    Da mir nichts Gescheites auf seine Worte einfiel, goss ich ihm Wein nach, während meine Linke in der Tasche den kleinen Schnapp streichelte.
    »Das unbeschwerte Studentenleben ist jedenfalls vorbei.« Fischel trank seinen Becher aus und wollte ihn erneut füllen, aber ich hinderte ihn daran. »Du solltest

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