Der Medicus von Heidelberg
Nachens kommt, wird er stattdessen den Wagen vorfinden. Ein guter Tausch. Jedenfalls für mich.« Wieder grinste Fischel. Dann wurde er ernst. »Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Wenn ich meinen Onkel irgendwo am Rheinufer begraben habe, werde ich wohl bei Mannheim rechts abbiegen und den Neckar hinauf nach Heidelberg fahren.«
»Nach Heidelberg? Wie kommst du denn auf Heidelberg? Sind Juden denn dort erwünscht?«
»Nein.«
»Nein? Aber warum willst du dann …?«
Fischel legte mir beschwichtigend die Hand auf die Schulter und schaute mich an. »Das ist eine lange Geschichte. Ich muss jetzt los.«
»Sicher, natürlich, wenn du meinst«, sagte ich, obwohl ich kein Wort verstand. »Aber pass auf dich auf.«
»Werde ich. Leb wohl,
amicus meus.
«
»Leb wohl.« Wir umarmten einander noch einmal kurz und heftig, dann schob Fischel den Nachen an und sprang hinein.
Hinter ihm schloss sich das Schilf wie ein Vorhang.
Auf dem Barfüßerplatz band ich Aaron an einen Baum und ging hinüber zum Hospital. Bevor ich eintrat, meldete sich Schnapp. Er zappelte in meiner Tasche, und ich sagte: »Sicher musst du mal.« Ich holte ihn hervor und trug ihn zurück zu dem Baum. Schnapp schnupperte ein wenig daran herum und blickte mich dann an.
»Musst du doch nicht?«, fragte ich.
Natürlich bekam ich keine Antwort. Also hob ich den Kleinen wieder auf. Ich wollte ihn wie zuvor in die Tasche meiner Kutte stecken, überlegte es mir aber anders. Ich hielt ihn direkt vor eines der großen braunen Pferdeaugen und sagte: »Sieh mal, Aaron, das ist Schnapp – sieh mal, Schnapp, das ist Aaron.« Ich kam mir bei der Vorstellung etwas kindisch vor, aber ich fand sie irgendwie notwendig, weil wir drei von nun an zusammengehören würden.
Dann steuerte ich abermals das Hospital an. Wie befürchtet, gelang es mir nicht, Schwester Edelgaard aus dem Weg zu gehen. Ich wurde von ihr an der Tür zum Krankensaal gestellt. »Ihr habt Euch offenbar selbst für gesund erklärt und das Spital ohne meine Erlaubnis verlassen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich hoffe nur, Ihr werdet es nicht bereuen.«
Statt einer Antwort schlug ich das Kreuz. »Gelobt sei Jesus Christus.«
»In Ewigkeit, Amen«, ergänzte sie notgedrungen.
Nachdem ich ihr auf diese Weise den Wind aus den Segeln genommen hatte, sagte ich so freundlich, wie es mir möglich war: »Ich möchte Herrn Professor Wentz einen Besuch abstatten.«
Da sie zögerte, fügte ich rasch hinzu: »Der Herr Professor wird bei seiner Entlassung sicher erwähnen, welch gottgefällige, verständnisvolle Pflege er durch Eure Hand erfuhr.«
»Was Ihr nicht sagt.« Sie sah mich leicht belustigt an. »Ich bin Franziskanernonne und schon deshalb unempfänglich gegenüber jeglicher Schmeichelei. Merkt Euch das.«
»Nichts lag mir ferner, als Euch zu …«
»Schon gut. Geht zu ihm. Aber fasst ihn nicht an. Ich habe seine Verbände gerade erneuert.«
»Gottes Segen über Euch.« Ich blickte ihr nach, wie sie davonrauschte, und dachte: Vielleicht ist sie doch nicht so übel. Dann betrat ich den Saal und begrüßte meinen alten Lehrmeister. »Johann, wie geht es dir?«, begann ich das Gespräch. »Stell dir vor, der Drache höchstpersönlich hat mir erlaubt, dich zu besuchen.«
Wentz richtete sich mit meiner Hilfe ein wenig auf. »Jaja, Licht und Schatten wechseln sich bei ihr ab. Zuerst dachte ich, sie würde mich zu Tode pflegen, doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Der Drache hat auch menschliche Züge. Jedenfalls hat er sich bis zuletzt rührend um unseren guten Eugenius Röist gekümmert.«
»Heißt das, er ist …?«
»Ja, Eugenius ist vor einer Stunde gestorben.«
»Großer Gott!«
Wentz seufzte schwer. »Der Wundarzt sagt, nach der Amputation seines Beines habe der
Spiritus vitalis
im verbliebenen Blut nicht mehr die Kraft gehabt, ihn am Leben zu erhalten.«
»Noch ein Opfer des verfluchten Bebens.« Ich sah Eugenius genau vor mir, wie er vor nicht einmal drei Tagen an meiner Tafel gesessen hatte, ein gutaussehender, sangesfroher Artist, dessen einziger Makel die Liebe zum Alkohol gewesen war.
»Ein Priester war bis zuletzt bei ihm«, fuhr Wentz mit Grabesstimme fort. »Dann haben sie ihn ins Kellergewölbe geschafft. Nächste Woche, wenn seine Eltern aus Luzern angereist sind, soll die Totenmesse in der Ulrichskirche gelesen werden. Im Münster geht’s ja nicht mehr. Mein Gott, er war doch noch so jung!«
»Ja«, sagte ich, »achtzehn Jahre«, und musste daran denken, dass
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