Der Medicus von Heidelberg
ich selbst nicht älter war.
»Wenigstens sind alle anderen auf dem Weg der Besserung.«
»Da bin ich aber froh.«
»Und wie geht’s Pisculus, unserem verrückten Fischel? Du bist doch mit ihm befreundet. Lebt er noch?«
»Gottlob, ja.« Ich erzählte, wo ich ihn getroffen hatte. Da ich nicht sicher war, ob Wentz um Fischels jüdische Herkunft wusste, verschwieg ich den Tod seines Onkels und alle Dinge, die damit zusammenhingen. Ich berichtete nur von unserem Besuch im
Swartzen Sternen
und schloss: »Er hat mir sein Pferd geschenkt und lässt sich in einem Nachen den Rhein hinuntertreiben. Sein Ziel ist Heidelberg.«
»Heidelberg?«, wiederholte Wentz. »Verrückt, verrückt. Nun ja, wir alle müssen sehen, wie wir weiterkommen. Du, mein lieber Lukas, wirst ebenfalls nicht in Basel bleiben können. Das Beste wäre, du gingest nach Erfurt, um dort dein Medizinstudium aufzunehmen.«
»Erfurt? Wieso Erfurt?«, fragte ich. »Das kommt aber ein bisschen plötzlich.« Dann versuchte ich einen Scherz. »Ich kann nicht nach Erfurt. Ich muss hierbleiben und aufpassen, dass du ganz gesund wirst. Vielleicht könnte ich dem Drachen sogar dabei assistieren.«
Wentz verzog keine Miene. »Du weißt genau wie ich, dass ein angehender Medicus sich nicht mit so niederen Arbeiten wie dem Richten von Knochen und dem Wechseln von Verbänden beschäftigt. Sein Arbeitsfeld liegt vielmehr in der Kenntnis der körperlichen Zusammenhänge, der Säftelehre, der Anatomie und natürlich der Diagnose. Höre, Lukas, ich meine es ernst mit Erfurt. Gott allein weiß, wann der Lehrbetrieb in unserer Stadt wieder aufgenommen wird. Bis es so weit ist, können Monate, vielleicht Jahre vergehen. Nein, nein, du solltest so rasch wie möglich nach Erfurt aufbrechen. Im Gegensatz zu Basel beginnt dort das Sommersemester erst im April. Du kämst also gerade zur rechten Zeit, um dich zu immatrikulieren.«
»Das mag schon sein. Aber warum ausgerechnet Erfurt?«
»Weil es dort einen Professor der Medizin namens Justus Rating de Berka gibt, und weil ich diesen Professor zufällig kenne.« Wentz zog mit dem gesunden Arm ein Schreiben unter seinem Kopfkissen hervor. »Das habe ich heute aufgesetzt. Ich bitte darin meinen Freund Justus, einen gewissen Lukas Nufer, seines Zeichens frischgebackener Magister Artium, nach Kräften bei seinem Studium zu unterstützen.«
»Danke«, stotterte ich. »Das ist wirklich sehr freundlich von dir. Aber ich möchte keine Bevorzugung.«
»Unsinn. Man kann nie genug Gönner haben. Auch ich hatte Fürsprecher, als ich vor zwei Jahren zum Rektor gewählt wurde. Und das war, wie du weißt, nicht zu meinem Schaden. Also, nimm schon.«
»Nun gut. Danke, Johann, vielen Dank.« Ich war ein wenig verlegen, las den Brief und steckte ihn in den Ärmel meiner Kutte. Dann fiel mir ein, wie ich mich für Johanns Hilfe erkenntlich zeigen konnte, und rief: »Warte einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«
Ich eilte hinaus zu Aaron, der geduldig an seinem Baum stand, und zog aus der Satteltasche das Paket mit der Pastete hervor. Auf dem Rückweg begegnete ich prompt wieder Schwester Edelgaard. »Wen wollt Ihr denn diesmal besuchen?«, fragte sie.
»Ich möchte noch einmal zu Herrn Professor Wentz«, antwortete ich, ein wenig außer Atem. »Ich hatte etwas vergessen.«
»Dann lasst Euch nicht aufhalten.«
»Danke, Gott befohlen.«
»Gott befohlen.«
Ich wollte an ihr vorbei, aber unglückseligerweise fiepte Schnapp in diesem Augenblick.
»Was war das für ein Geräusch?« Misstrauisch musterte sie mich. »Ihr seid ja ganz nass!«
»Ich habe einen kleinen Hund«, beichtete ich.
»Was, unter Eurem Gewand?«
»Ja, Schwester, ich …«
»Wie könnt Ihr nur! Das kleine Wesen erstickt ja. Sofort holt Ihr es heraus.«
»Ja, Schwester.«
Als sie Schnapp sah, stieß sie einen Laut des Entzückens aus. »Jesus Christus, der ist ja allerliebst! Wie heißt er denn?«
»Schnapp.«
»Schnapp? Was für ein unpassender Name! Ihr müsst Euch einen neuen ausdenken. Darf ich ihn einmal halten?«
»Natürlich, Schwester.«
Sie wiegte ihn in ihren Händen, kraulte ihn, drückte ihn an ihre Wange, flüsterte allerlei kindchenhaftes Zeug, und ich dachte, vielleicht wäre es besser gewesen, sie wäre nicht Nonne, sondern Mutter geworden.
»Wartet!«, sagte sie unvermittelt. Sie gab mir Schnapp zurück und eilte mit schnellen Schritten davon.
Während ich mich fragte, was das Ganze zu bedeuten hatte, erschien sie wieder, einen
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