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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zwischendurch etwas essen«, sagte ich.
    »Meinetwegen. Aber dann die Wurst. Ist sowieso alles unkoscher, was der Wirt gebracht hat.« Fischel aß die Wurst, und sie schmeckte ihm sichtlich gut. Dann trank er und sagte, während er den Becher absetzte: »Was mir am meisten Sorgen macht, ist, dass die sterblichen Überreste meines Onkels wohl in einem der Massengräber landen werden.«
    Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Und was willst du dagegen unternehmen?«, fragte ich. »Willst du ihn etwa selbst irgendwo begraben?«
    »Nein, das kommt nicht in Frage.« Fischel griff zum Käse und biss hinein. Während er kaute, dachte er angestrengt nach. Und während er nachdachte, aß er, ohne es zu bemerken, das gesamte Stück auf. »Ich glaube, ich weiß, wie ich’s mache«, sagte er schließlich. »Aber ich schaffe es nur, wenn du mir dabei hilfst.«
    »Gern, was soll ich tun?«
    »Mitkommen. Wir gehen zur Hütte meines Onkels.«
    Doch bevor wir gingen, musste ich die Zeche zahlen, und bei der Gelegenheit ließ ich mir noch eine große Portion Wildpastete einpacken, denn ich dachte an meinen Freund Wentz im Hospital.
    Dann brachen wir auf.
     
    Auch vor der Hütte des Onkels hatte die Zerstörungswut des Bebens nicht haltgemacht. Das Dach war eingestürzt, von den ehemals vier Wänden standen nur noch zwei. »Erschrick nicht, wenn du reingehst«, sagte Fischel. »Der Onkel … weißt du, er gibt kein schönes Bild ab.«
    Trotz der Warnung entfuhr mir ein Laut des Entsetzens, als ich wenig später vor dem alten Mann stand. Eine Dachlatte musste sich durch die Erdstöße gelöst und den Ärmsten im Schlaf durchbohrt haben. Es war ein schauerlicher Anblick. Er erinnerte mich an die Schmetterlinge des alten Prälaten Bindschedler, der jedes seiner Exemplare mit einer Nadel durchstieß, bevor er es seiner Sammlung zufügte.
    »Was willst du tun, Fischel?«
    »Hilf mir, ihn rauszutragen.«
    Wir befreiten den Onkel von dem mörderischen Balken und trugen ihn mit vereinten Kräften vor die Hütte. Die Leichenstarre hatte sich bereits gelöst, was die Glieder des Toten schlaff und den Transport schwierig machte.
    »Wohin mit ihm?«, fragte ich.
    »Da auf den Wagen.« Fischel wies mit dem Kopf auf ein vierrädriges Gefährt.
    »Und wohin willst du ihn bringen?«
    »Wart’s nur ab.«
    Als der Körper des Onkels auf dem Wagen lag, holte Fischel einige alte Säcke und deckte damit die Leiche ab. »Nicht jeder muss gleich sehen, welche Art von Ladung wir haben.« Dann spannte er Aaron vor das Gefährt. »Hüa, alter Junge, es geht zum Rhein!«
    »Du willst zum Rhein?«
    »So ist es.«
    Es war eine mühsame, schweißtreibende Holperfahrt, denn der Wagen war alt und der Weg steinig und Aaron keineswegs immer gewillt, die für ihn ungewohnte Arbeit zu verrichten. Doch nach einer guten Stunde hatten wir es geschafft. Vor uns lag ein Wald aus Schilf, der das Rheinufer an diesem Abschnitt säumte. »Da hinein«, befahl Fischel, nachdem er Aaron aus dem Geschirr genommen hatte.
    »Der Wagen soll ins Schilf?«, fragte ich entgeistert.
    »Genau. Komm, pack noch einmal mit an.« Wir schoben und zerrten, bis der Wagen vollständig im Röhricht verschwunden war. »Hier müsste es sein.« Fischel bog ein paar Halme auseinander, und ein schlanker Nachen wurde sichtbar. »Wir legen meinen Onkel in das Boot. Um deinen weiteren Fragen vorzubeugen: Ich werde mit meinem Onkel den Rhein hinunterfahren und versuchen, an irgendeiner Stelle einen Rabbi aufzutreiben, der einen Gottesdienst auf Hebräisch hält und ihm ein Begräbnis nach den Geboten der Tora zuteilwerden lässt.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Doch, mein voller Ernst. Es ist das Letzte, was ich für ihn tun kann.« Fischel schniefte und kämpfte wieder mit den Tränen. Er hatte an diesem Tag wirklich nahe am Wasser gebaut. Ich nahm ihn in die Arme und spürte, wie seine Schultern zuckten. Mir selbst war auch zum Heulen zumute. Eine Weile standen wir so da, dann löste sich Fischel von mir. Seine Stimme klang nahezu wieder normal, als er sagte: »Ich will, dass Aaron bei dir bleibt. Er ist ein braves Tier, einundzwanzig Jahre alt und gesund. Nur im Geschirr geht er nicht gern.«
    »Aber ich verstehe nichts von Pferden!«, protestierte ich.
    »Dafür versteht Aaron viel von Menschen.« Fischel grinste schief.
    »Aber ich habe doch schon den Hund.« Meine Gedanken wirbelten durcheinander. »Und was ist mit dem Wagen? Soll ich den etwa auch nehmen?«
    »Nein. Wenn der Besitzer des

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