Der Medicus von Heidelberg
allein ist. Beim nächsten Mal bringt Ihr ihn zu mir.«
»Er ist manchmal aber recht ungestüm.«
»Besser, als zu langweilig. Ich habe mehr als dreitausend Kinder auf die Welt gezogen, da ist man durch nichts mehr zu erschüttern.«
»Gut, ich verspreche es Euch. Nun muss ich aber gehen.« Ich schickte mich an, die Treppe emporzusteigen, doch ein erneuter Ruf von ihr hielt mich auf. »Da ist übrigens etwas für Euch abgegeben worden. Michel, Waldseers Hausknecht, hat es vor die Tür Eurer Kammer gelegt.«
»Danke«, sagte ich und eilte die Stufen hinauf. Als ich im zweiten Oberstock angelangt war, hörte ich Schnapp freudig hinter der Tür kratzen. »Ich komme ja schon, mein Großer«, rief ich etwas außer Atem und bückte mich nach dem kleinen Paket, das vor der Türschwelle lag. Ich hob es auf und sah, dass es mit einer goldroten Kordel verschnürt war.
Es musste von Odilie sein.
Ich stand in der Kleidung eines Händlers auf dem Markt und verkaufte Äpfel – zusammen mit Odilie, die ich seit kurzem meine Frau nannte. Es war die einfachste Möglichkeit, unauffällig mit ihr über alles sprechen zu können, was mich bewegte. »Wie ist es dir in den letzten Tagen ergangen?«, fragte ich zärtlich, während ich ein paar Früchte zurechtrückte.
»Erzähle erst du.« Odilie schaute mich mit einem neugierigen Lächeln an.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Ich schilderte meinen Besuch bei Fischel, sprach über Rahel und den kleinen Simon, beschrieb Professor Koutenbruer und die Art, wie er seine Lesungen hielt, und erläuterte den Aufbau des Stadthospitals mit dem beigeordneten Gebärhaus.
»Du erlebst viel«, sagte Odilie traurig. »Bei mir auf dem Schloss herrscht Langeweile. Meine Tage bestehen nur aus Spaziergängen, Mahlzeiten, Bibelstunden und Sticken. Ich kann den Stickrahmen schon nicht mehr sehen. Früher …«
Sie unterbrach ihren Bericht, denn eine Magd betastete prüfend unsere Äpfel und entschloss sich, welche zu kaufen. »Mach mir den halben Korb voll!«, sagte sie zu Odilie, und meine Prinzessin gehorchte, als hätte sie nie etwas anderes im Leben getan.
Als die Magd fort war, redete sie weiter: »Früher war es so, dass der ehrenwerte Professor von Themar mich in Poetik, Rhetorik und Heraldik unterrichtete, aber Vater will es nicht mehr. Von Themar soll sich mehr der Erziehung meiner Brüder widmen.«
»Adam Wernher von Themar?« Ich horchte auf. »Hat er dir erzählt, was er in der Gefangenschaft des Raubritters Talacker von Massenbach erlebt hat? Ich meine, Talacker muss doch vor Wut geschäumt haben, als er bemerkte, dass nicht du ihm in die Fänge geraten warst, sondern Thérèse.«
»Ja, das hat er wohl. Von Themar sagte, er habe einen wahren Veitstanz aufgeführt und um sich geschlagen, so dass nicht wenige in seiner Nähe verletzt wurden. Zum Glück richtete seine Raserei sich nicht gegen seine Geiseln. Aber es war, so sagte von Themar, sehr würdelos.«
»Und was ist weiter passiert?«
»Warte, da kommt gerade jemand.« Eine andere Magd näherte sich, befingerte unsere Äpfel, fragte nach dem Preis, behauptete, an anderen Ständen sei die Ware billiger, und verschwand wieder. Odilie fuhr fort: »Von Themar hat insgesamt nicht viel berichtet. In erster Linie wohl, weil er sich von Vater die größten Vorwürfe anhören musste, denn schließlich war er ja für meine Sicherheit verantwortlich gewesen. Andererseits wohl auch, weil ihm schon nach drei Tagen die Flucht gelang.«
»Eine Flucht von Talackers Raubrittersitz? Das stelle ich mir nicht so einfach vor.«
»Trotzdem war es so. Der Grund lag darin, dass Talacker allen Geiseln das Ehrenwort abnahm, nicht zu fliehen, aber durch ein Versehen wurde von Themar bei dem Schwur vergessen. Dadurch konnte er sich frei bewegen und unbemerkt die Flucht antreten. Da er das Kurpfälzische Hofsiegel bei sich trug, half man ihm überall weiter, und schon zehn Tage nach dem Überfall war er wieder in Heidelberg.«
»Im Gegensatz zu dir. Bei dir sollte es länger dauern, bis du wieder in die Arme deiner Lieben fallen konntest.«
»Meiner Lieben?« Odilie seufzte. »Am selben Tag, als du mich wohlbehalten nach Heidelberg gebracht hattest, begegnete ich noch Christoph, der bereits mit seinem Gefolge am Hof weilte.«
»Christoph, der Weiberfreund«, murmelte ich. »Ist er, äh, sehr aufdringlich?«
»Er ist widerlich.« In Odilies Worten lag alle Verachtung dieser Welt. »Ein Schleimer, ein verweichlichter Nichtsnutz, der nichts
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