Der Medicus von Heidelberg
Schnapp folgte uns auf dem Fuße. In der Nähe des Gebärstuhls, in dem die Kreißende saß, rollte er sich wieder zusammen und döste weiter, als ginge ihn das Ganze nichts an.
Umso geschäftiger wurde Rosanna, kaum dass sie den Raum betreten hatte. Sie hieß die beiden anderen Kundigen Frauen zur Seite treten und sagte ihnen: »Der Studiosus Nufer wird mir assistieren. Wenn ich Euch brauche, gebe ich Euch Bescheid. So lange könnt Ihr eine Pause machen.«
Die Frauen nickten, bedachten mich mit einem neugierigen Blick und verschwanden.
Ich protestierte schwach. »Ich weiß nicht, ob ich Euch sehr von Nutzen sein werde.«
»Am besten lernt man etwas, wenn man es einfach tut. Zeigt mir Eure Fingernägel.«
»Meine … was?«
»Eure Fingernägel. Sie müssen kurz sein, damit Ihr den Geburtskanal nicht verletzt, wenn Ihr ihn untersucht.«
Ich zeigte Rosanna meine Nägel und erwartete, dass sie mich auf meine verkrüppelte Rechte ansprechen würde, doch sie sagte nichts dergleichen. Stattdessen sprach sie auf die Kreißende ein. Ihr forscher Ton wurde unvermittelt sanft. »Wie war noch dein Name, Kind?«
»Berta«, flüsterte die werdende Mutter.
»Gut, Berta. Du hast es gehört. Der Studiosus Nufer wird mir assistieren, wenn dein Kleines kommt. Er ist ein angehender Medicus. Hast du etwas dagegen?«
Berta schüttelte schwach den Kopf. »Es tut so furchtbar weh«, flüsterte sie.
»Das vergeht wieder«, tröstete Rosanna. Sie erkundigte sich, wann die ersten Wehen eingesetzt hätten und wann das Fruchtwasser abgegangen sei, und strich dabei der Schwangeren beständig über den gewölbten Leib. »Alles wird gut werden. Du bist nicht die erste Frau auf dieser Welt, die ein Kind kriegt, und du wirst auch nicht die letzte sein. Alles geht seinen Gang, im Großen wie im Kleinen, und für jede Art von Problemen hat Gott der Herr ein Kräutlein wachsen lassen. Wir haben einen ganzen Schrank voll davon, und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass etwas fehlen würde …«
So sprach sie beruhigend auf Berta ein, und die junge Magd wurde zusehends ruhiger. Als nach einiger Zeit die Wehen wieder einsetzten, glaubte ich, es wäre so weit, und lief rasch zum Wirtschaftsgebäude, in dem sich die Küche des Hospitals befand. Ich ließ mir eine Schüssel mit frischem, heißem Wasser geben und eilte damit zurück.
»Wo wart Ihr nur die ganze Zeit?«, fragte mich Rosanna, ohne aufzublicken.
Ich erklärte es ihr.
»Man merkt, dass dies Eure erste Geburt ist. Gut Ding will Weile haben.«
Doch aus der »Weile«, von der Rosanna sprach, wurde eine Stunde, und aus der einen Stunde wurden drei Stunden, und aus den drei Stunden fünf. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, längst hatte ich mich gesetzt, denn vom langen Stehen taten mir die Füße weh. Rosanna jedoch schien unermüdlich. Gegen Mitternacht nahm ich sie beiseite und sagte leise zu ihr: »Nach der griechischen Lehre von der Überfruchtung ist der Kindestod wie folgt festzustellen: Man heiße die Gebärende, sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite zu legen. Das Kind nämlich, so es tot ist, fällt immer auf die Seite, auf die sich auch die Gebärende legt, wie ein Stein oder etwas Ähnliches. Auch beginnt der Leib der Mutter zu erkalten, wenn die Frucht abgestorben ist.«
»Wo habt Ihr das denn gelesen?«, fragte Rosanna. »Ich sage Euch jetzt etwas, das nirgendwo in den Büchern steht. Eine tüchtige Wehmutter soll alle ihre fünf Sinne gebrauchen, um den Zustand von Mutter und Kind zu erkennen: den Leib muss sie sehen, den Spalt muss sie riechen, den Harn muss sie schmecken, das Herz muss sie hören und darüber hinaus manches fühlen und tasten. Kommt mit.«
Sie führte mich zurück zu Berta, die im Laufe der vergangenen Stunden immer kraftloser und mutloser geworden war. »Legt Eure Hand auf den Leib.«
Ich gehorchte.
»Nun, fühlt er sich kalt an?«
»Nein«, gab ich zu, »aber sehr gespannt.«
»Das ist kein Wunder. Legt Euer Ohr auf den Leib.«
Wieder gehorchte ich.
»Was hört Ihr?«
»Ich glaube, Herztöne. Genauer gesagt, zwei verschiedene Herztöne. Wahrscheinlich die der Mutter und des Kindes.«
»Es sind drei.«
»Verzeihung?«
»Es sind drei verschiedene Herztöne. Berta bekommt Zwillinge. Eure Vermutung, das Kind sei tot, ist also gleich zweimal falsch.«
»Zwillinge?« Berta stöhnte auf.
»Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, weil das Ganze schon lange genug dauert, aber nun
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