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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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doch er fügte mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln hinzu: »Und bei der Weinherstellung helfen können.«
     
    Da ich auf meinem Weg in die oberen Stockwerke stets durch den Gebärsaal musste, traf ich bei meiner Rückkehr auf zwei Kundige Frauen, von denen ich nur Rosanna kannte. Sie kümmerten sich um eine Wöchnerin, die offenbar gerade niedergekommen war. Die Frau lag ermattet in den Kissen, den Säugling neben sich, strampelnd und schreiend. Die zweite Kundige Frau, die Rosanna bislang assistiert hatte, wusch sich die Hände und verabschiedete sich. Ich wollte ebenfalls den Saal verlassen und die Treppe erklimmen, aber Rosannas Ruf hielt mich auf. »Herr Studiosus, Eure Ausbildung zur Wehmutter beginnt jetzt! Helft mir, die Nabelschnur zu durchtrennen.«
    Zögernd blieb ich stehen.
    »Was ist, habt Ihr etwa Angst? Das Blut ist aus der Nabelschnur heraus, ich habe sie bereits abgebunden.« Sie drückte mir eine Schere in die Hand und zeigte mir die Stelle, an der ich den Schnitt vornehmen sollte. »Hier, vier Fingerbreit über dem Leib des Kindes. Macht Ihr das etwa zum ersten Mal?«
    »Ja«, musste ich einräumen.
    »Eine Schande, dass ihr Studenten nur zu Bücherwürmern herangezüchtet werdet.«
    Ich versuchte, mich und meine Zunft zu verteidigen, und sagte: »Sicher beherrscht Professor Koutenbruer diese Prozedur auch. Er ist immerhin der ärztliche Leiter des Hauses.«
    Rosanna hielt einen Augenblick inne und sah mich an. »Wie gesagt, er ist ein sehr guter Theoretiker. Er könnte Euch alles über die Kindeslagen im Mutterleib, die Geburt, die Nachgeburt, die Abnabelung und dergleichen mehr erklären, aber selbst Hand anzulegen pflegt er nie.«
    »Ich komme gerade von einer seiner Vorlesungen. Es war wirklich sehr interessant. Es ging um den Monatsfluss.« Ich umriss mit kurzen Worten den Stoff, den Koutenbruer zu Gehör gebracht hatte.
    Als ich fertig war, antwortete Rosanna, während sie den Säugling an die Brust der Mutter legte: »Das ist ja alles schön und gut, aber bezeichnend für einen Mann wie den Herrn Professor. Er hat über Weinherstellung, Abtreibung, Schwämme und alles Mögliche gesprochen, aber darüber das Wichtigste vergessen: die Mittel nämlich, die gegen Frauenschmerzen einzusetzen sind.«
    »Und was gibt es da?«
    »Helft mir, die Schüsseln und das blutige Leinen fortzuräumen, dann erkläre ich es Euch.«
    Nachdem das zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, ging sie mit mir in den Nebenraum mit den Arzneischränken, nahm aus einem ein irdenes Gefäß heraus und setzte sich damit an den Tisch in der Mitte.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    Sie hob den Deckel ab, und ich sah einen Inhalt, der aus kleinen, beerenartigen Körnern bestand. »Das sind die Samen des Keuschlamms«, erklärte sie. »Man gewinnt sie aus der Frucht. Mit nicht zu heißem Wasser aufgegossen, wirken sie gegen Frauenleiden. Es ist ein altes, sehr bewährtes Rezept. Der Keuschlamm wird auch Mönchspfeffer genannt.«
    »Warum Mönchspfeffer? Mönche dürften doch kaum von Frauenleiden geplagt sein?«
    Rosanna lächelte flüchtig. »Weil der Keuschlamm neben der lindernden Wirkung auch eine hemmende Wirkung in sich birgt. Er sorgt dafür, dass die Mönche nicht zu sehr nach den Nonnen schielen, vorausgesetzt, sie verfeinern ihre Speisen mit seiner scharfen Würze.«
    »Ich verstehe.«
    »Dann haben wir da noch die Silberkerze. Von ihr kommen die Wurzel und der Wurzelstock zur Anwendung.« Sie zeigte mir ein entsprechendes Präparat und stellte es auf den Tisch neben den Keuschlamm.
    Es folgten weitere Medikamente wie Schafgarbe, Kamille, Gänsefingerkraut, Frauenmantel, Brennnessel, Lavendel und Melisse. Als sie alles aufgereiht hatte, sagte sie: »Die Natur hält viele Arzneien bereit, und der Wald ist die beste Apotheke. Man muss nur wissen, was bei welchen Beschwerden hilft und wie man es aufbereitet.«
    »Da habt Ihr sicher recht. Wäret Ihr bereit, Euer Wissen mit mir zu teilen?«, fragte ich.
    »Nur unter einer Bedingung.«
    Mir sank der Mut. Was mochte die gestrenge Rosanna von mir wollen? »Ich höre?«
    »Dass Ihr mir demnächst mal Euren Hund zeigt.«
    Ich lachte. »Einverstanden, sehr gern. Doch nun will ich hinauf zu ihm. Wir haben bald die Mittagsstunde, und er ist seit heute Morgen fünf Uhr allein.«
    »So lange, Herr Studiosus?«
    »Es geht nicht anders. Die Vorlesungen beginnen laut den Regeln schon vor sechs in der Frühe, jedenfalls im Sommersemester.«
    »Es ist nicht gut, wenn ein Hund so lange

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