Der Medicus von Heidelberg
Kindleins, der durch mein Eindringen beiseitegedrängt wurde. Schließlich glaubte ich, die Beinchen und Füßchen erreicht zu haben, mehr erahnt als gespürt, und nickte Rosanna zu.
Sie gab mir das Stöckchen in die Linke, und ich versuchte, die Prozedur zu vollziehen.
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich es probierte. Ich weiß nur noch, dass Rosanna ständig beruhigend auf die Fremde einredete und mich für meine kläglichen Bemühungen lobte, während Koutenbruer schwieg. Mein rechter Arm erlahmte nach einiger Zeit, wurde schwerer und schwerer, mein Rücken, meine Knie, meine Oberschenkel schmerzten, denn ich kniete in gekrümmter Stellung vor der Fremden. Irgendwann gelang es mir, die erste Schlaufe über eines der Füßchen zu streifen. Ein Erfolg, der mir Mut machte, andererseits aber nichts wert war, solange die zweite Schlaufe ihren Platz nicht gefunden hatte. Immer wieder versuchte ich es. Mehrfach wollte ich aufgeben, doch jedes Mal forderte Rosanna mich nachdrücklich auf, weiterzumachen, einen neuen Versuch zu unternehmen, weil der Erfolg kurz bevorstünde.
Ich biss die Zähne zusammen, wollte keine Schwäche zeigen, schon gar nicht vor Koutenbruer, und bemühte mich weiter, obwohl ich fast nicht mehr daran glaubte.
Und doch: Wie durch ein Wunder gelang es. Ich war so erleichtert, dass mir fast die Tränen kamen, während ich die letzten Handgriffe vornahm, um das Kindlein in die geburtsmögliche Lage zu ziehen. »Bitte erledigt den Rest«, sagte ich müde zu Rosanna.
Als ich mich aufrichten wollte, gaben meine Knie unter mir nach. Ich fiel rücklings nieder. Die Glieder waren mir eingeschlafen. Ich fühlte mich kraftlos und lächerlich. Zu meiner Verwunderung sprang Koutenbruer mir bei und half mir auf die Füße. »Das habt Ihr sehr gut gemacht, Nufer. Die Kreißende wird es Euch sicher danken.«
Ich nickte benommen. Meine Aufmerksamkeit galt Rosanna, die mit ihren erfahrenen Händen das Kind holte. Plötzlich war ich nicht mehr Mittelpunkt des Geschehens, sondern das Kindlein, das nach allen Künsten einer guten Wehmutter entnabelt und behandelt wurde. Rosanna wusch es mit lauwarmem Wasser, bis das Blut und die Fruchtschmiere vollends verschwunden waren. Anschließend nahm sie noch einmal wärmeres, mit Honig veredeltes Wasser, zur Kräftigung der Haut, wie sie mir erklärte. Sie musste ihre Erklärung recht laut sagen, denn unterdessen hatte der neue Erdenbürger – es handelte sich um ein Mädchen – kräftig zu brüllen begonnen, was allseits große Freude auslöste.
Am Schluss legte sie in warmes Öl getauchte Kompressen auf die gemarterte Geburtsöffnung, damit der Schmerz gelindert werde.
Da alles zum Besten zu stehen schien, sah ich keinen Grund, länger zu bleiben, und deutete ein Nicken an, um mich zu verabschieden. Doch Koutenbruer hieß mich bleiben. Er nahm meine Hand und legte sie in die der jungen Mutter. »Die Dame wird nicht vergessen, was Ihr für sie getan habt«, sagte er.
»Es war nicht der Rede wert«, antwortete ich.
»Sie wird es nicht vergessen«, wiederholte Koutenbruer.
»Ich habe gern geholfen«, sagte ich und blickte der Fremden in die Augen. »Darf ich fragen, wer Ihr seid?«
Koutenbruer zog scharf die Luft ein. Offenbar hatte ich mit meiner Frage eine Ungehörigkeit begangen, die einem Sakrileg gleichkam.
Die Fremde schlug die Augen nieder und schüttelte unmerklich den Kopf.
»Ich bitte um Entschuldigung«, murmelte ich. »Ich wünsche Euch und Eurer Tochter gute Gesundheit und Gottes Segen.«
Wenig später stieg ich die Treppe hinauf zu meiner Wäschekammer, wo Schnapp auf mich wartete.
Im Dezember hatte ich eine unliebsame Begegnung in der Nähe des Marktes. Wieder war ich unterwegs, um Ausschau nach meiner Prinzessin zu halten, obwohl der Verstand mir sagte, dass es vergebens sein würde. Schnapp war an diesem Tag an meiner Seite und knurrte aus tiefer Kehle, als eine alte Frau mich plötzlich anrempelte. Ehe ich mich’s versah, war sie schon weiter und verschwand in einer Seitengasse. »Halt, Milda!«, rief ich. »So warte doch!«
Dann wurde mir klar, wie unklug es gewesen war, Mildas Namen in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen, und ich schwieg betreten. »Wir wollen Milda nicht verfolgen«, sagte ich zu Schnapp, dessen Rückenhaare noch immer eine Bürste bildeten. »Mal sehen, welche Nachricht sie uns überbracht hat.«
Ich griff in die Taschen meiner Bursarierkutte, in der Erwartung, ein Papier wie beim letzten Mal zu finden, doch ich
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