Der Medicus von Heidelberg
Säugling eine Lage hat, die geburtsunmöglich ist.«
»Was ist zu tun?«, fragte ich.
»Der Säugling muss gedreht werden.«
»Sehr wahr«, mischte Koutenbruer sich ein. Er versuchte, seiner Stimme einen überlegenen Klang zu geben, und fuhr fort: »Ich weiß nicht, ob Euch das achtbändige Werk
De medicina
des Aulus Cornelius Celsus bekannt ist, liebe Frau Rosanna, aber im neunundzwanzigsten Kapitel des siebten Buches heißt es:
Ein auf die Füße gewendetes Kind kann ohne Schwierigkeiten herausgezogen werden. Wenn man diese mit den Händen erfasst hat, wird das Kind leicht herausbefördert.
«
Rosanna schnaubte. »Ganz recht, Herr Professor. Ihr vergesst nur, dass ich seit Stunden versuche, das Kind zu drehen. Es geht nicht. Jedenfalls nicht mit den normalen Griffen. Ihr wisst ebenso, dass ich schon mehrmals versuchte, mit Hilfe des Geburtsstöckchens zum Erfolg zu kommen, was aber ebenfalls misslang.«
»Es wird Euch schon glücken.«
»Nein, ich brauche die Hilfe des Studiosus.«
»Was könnte mir gelingen, das Euch misslang?«, fragte ich zweifelnd.
»Hört genau zu, ich erkläre Euch jetzt, wie das Kind liegt. Das herausragende Händchen habt Ihr bereits gesehen. Wenn Ihr daran zieht, kommt das dazugehörige Ärmchen zum Vorschein, gleichzeitig knickt aber das Köpfchen ab und versperrt dem restlichen Körper den Weg. Es ist wie der Widerhaken an einem Pfeil. Dasselbe würde passieren, wenn man an beiden Ärmchen zöge. Die einzige Möglichkeit ist also, das Kind zu drehen, damit es mit den Füßen zuerst den Mutterleib verlassen kann. Das wiederum ist mir bisher nicht gelungen, obwohl ich das Geburtsstöckchen schon eingesetzt habe.«
»Was hat es mit dem Stöckchen auf sich?«, fragte ich.
»Seht her.« Sie zeigte mir einen knapp zwei Fuß langen Stock, kaum dicker als eine Gerte, aber ebenso biegsam. »An dem verjüngten Ende findet Ihr eine Einkerbung. Mit der Einkerbung voran wird das Stöckchen in die Scheide und weiter bis in die Gebärmutter geschoben.«
»Aber das macht doch keinen Sinn?«
»Doch. Weil zu dem Stöckchen ein Faden gehört. Am Ende des Fadens befindet sich eine Schlaufe. Die Schlaufe legt Ihr in die Kerbe des Stöckchens. Danach schiebt Ihr Eure Rechte in den Mutterleib hinein, tiefer und tiefer, am gesamten Körper des Kindleins vorbei bis hin zu seinen Füßchen. Ist das geschafft, schiebt Ihr das Stöckchen nebst Faden mit der Linken hinterher, bis seine Spitze mit Eurer Hand auf gleicher Höhe ist. Alsdann versucht Ihr, die Schlaufe von der Spitze des Stöckchens zu nehmen und sie über eines der Füßchen zu streifen. Sobald das gelungen ist, zieht Ihr das Stöckchen wieder heraus, legt einen neuen Faden auf die Kerbe, und der Vorgang wiederholt sich, damit auch das andere Füßchen seine Schlaufe bekommt. Nachdem Ihr das Stöckchen abermals herausgenommen habt, drückt Ihr mit der Rechten den Oberkörper des Kindleins nach innen, während Ihr gleichzeitig mit der Linken vorsichtig und stetig an den beiden herausragenden Fäden zieht, und wenn der Herrgott seinen Segen dazu gibt, werden die Füßchen den Fäden folgen und zum Gebärmutterausgang gelangen.«
Ich schwieg beeindruckt.
»Habt Ihr das verstanden, Herr Studiosus?«
»Das habe ich. Und ich habe auch verstanden, warum Euch die Prozedur nicht gelungen ist«, sagte ich. »Die Sache ist viel zu knifflig. Nennt mir einen Grund, warum ausgerechnet ich die Aufgabe bewältigen sollte.«
Rosanna deutete auf meine rechte Hand. »Ganz einfach. Weil Ihr nur drei Finger habt. Damit ist Eure Hand schlanker als meine.«
Daran hatte ich nicht gedacht. Aber es stimmte. Dennoch war der Gedanke fast lächerlich, dass mir etwas gelingen sollte, an dem eine so erfahrene Wehmutter wie Rosanna gescheitert war. Ich sah in die Augen von Koutenbruer, in die Augen der Unbekannten, in die Augen der Kundigen Frauen, und in allen stand die unausgesprochene Bitte: Versuche es. Du musst es versuchen.
Ich hüstelte verlegen. »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.« Rosanna reichte mir die Salbe, und ich strich mir damit den Arm bis zum Ellbogen ein. Dann war es so weit. Es gab kein Zurück mehr. Während ich meine Hand so schmal wie möglich machte, legte Rosanna die Schlaufe des Fadens in die Kerbe des Stöckchens und wartete, dass sie es mir anreichen könne. Es war ein eigenartiges, ganz seltsames Gefühl, als meine Hand sich im Geburtskanal vortastete, hinein in die Gebärmutter, vorbei an dem winzigen lebenden Körper des
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