Der Medicus von Heidelberg
gingen weiter. Nach ein paar Schritten sagte Odilie nachdenklich: »Ob Gott einverstanden ist mit dem, was wir tun?«
»Was meinst du damit?«
»Nun, mit dem, was wir heute Nacht … gemacht haben.«
»Natürlich«, antwortete ich. »Wir sind doch verheiratet.«
»Und wenn wir ein Kind bekommen?«
Ich blieb stehen und blickte Odilie in die Augen. »Wenn Gott will, dass wir ein Kind bekommen, wird es seinen Segen haben. Wenn Gott nicht will, werden wir kein Kind haben. Es liegt einzig und allein in seiner Hand.«
Odilie seufzte. »Alles, was du sagst, klingt so einfach.«
»Es ist einfach.« Ich sagte das, obwohl ich selbst nicht recht daran glaubte. Aber ich war entschlossen, mir die Gegenwart nicht durch Gedanken an die Zukunft vergällen zu lassen. »Einerlei, was Gott vorgesehen hat, durch einen kleinen Prinzen oder durch eine kleine Prinzessin würden wir für immer weiterleben.«
»Oh, das sind so ernste Worte, mein Liebster. Aber ich glaube auch, dass nichts auf der Welt ohne seinen Willen geschieht.«
Wir gingen zurück zur Hütte, wo ich Odilie auf unser Lager zog. Als wir eng umschlungen nebeneinanderlagen, neckte sie mich und sagte: »Mir scheint, du willst Gottes Entscheidung ein wenig nachhelfen?«
»Vielleicht will ich das«, sagte ich heiser. »Aber eigentlich will ich nur dich.«
Am nächsten Tag, einem Montag, herrschte reger Betrieb auf dem Fluss. Fischer holten ihre Netze ein, Lastkähne und Holzflöße trieben die Fluten hinab, und an den Ufern liefen Pferdegespanne auf den Treidelpfaden, um Schiffe flussaufwärts zu ziehen.
Odilie und ich saßen, vor neugierigen Augen geschützt, hinter ein paar Beerensträuchern und beobachteten das geschäftige Treiben. »Welches Ziel die Schiffe wohl haben, die den Fluss hinunterfahren?«, fragte sie mich angesichts eines schwerbeladenen Kahns.
»Die Ziele dürften unterschiedlich sein«, antwortete ich. »Die meisten Schiffe fahren sicher bis zur Neckarmündung nach Mannheim.«
»Und die anderen?« Odilie schmiegte sich an mich und streichelte Schnapp, der mit heraushängender Zunge neben uns lag.
»Die fahren den Rhein weiter hinunter bis zum großen Delta.«
»Und dann?«
Ich lachte. »Plagt dich das Fernweh, meine Prinzessin?«
Odilie lachte nicht mit. »Ja, vielleicht«, sagte sie. »Du glaubst nicht, wie oft ich vom Schloss hinunter auf den Neckar geblickt habe und mir dabei wünschte, ich könnte mich auf ihm forttreiben lassen. Die Menschen denken immer, als Prinzessin habe man keine Sorgen, man lebe Tag für Tag in Saus und Braus, dabei kam ich mir oftmals vor wie ein Vogel im Käfig. Also, was kommt nach dem Rhein?«
»Der Rhein fließt in die Nordsee, und die Nordsee ist ein Teil des Ozeans.«
»Und an dem liegt Neuspanien, oder?«
»Ja, auf der anderen Seite, tief im Westen, wo die Sonne untergeht.«
»Erzähle mir von Neuspanien.«
Ich wusste nicht viel über das ferne Land, das ein Seefahrer namens Kolumbus für König Ferdinand entdeckt hatte, und das, was ich als Arzt wusste, klang nicht gut. Demnach hatte Kolumbus von seiner zweiten Reise nach Neuspanien eine Krankheit mitgebracht, die durch die Fleischeslust übertragen wurde und sich wie ein Lauffeuer in den Hafenstädten des westlichen Mittelmeeres ausbreitete. Auch Neapel blieb nicht verschont, das der Franzosenkönig Karl VIII . mit seinen Truppen im Jahre 1495 einnehmen wollte. Die Eroberung gelang, jedoch um den Preis zahlreicher Krankheitsfälle. Als Karl nach seinem Sieg abzog, sorgten seine Soldaten dafür, dass sich die Lustseuche in ganz Europa verbreitete – mit tödlichen Folgen. Niccolò Leoniceno, ein berühmter Meisterarzt und Humanist, hatte anno 1497 in Venedig die erste Abhandlung über die Krankheit, die er
Morbus gallicum,
also »Franzosenkrankheit«, nannte, veröffentlicht.
Nein, mit diesem Wissen wollte ich meine Prinzessin nicht belasten. Deshalb sagte ich nur: »Man hört, dass König Ferdinand Schiffsverbände zusammenstellt, die das Gold aus den neuen Ländern nach Spanien transportieren. Unermessliche Reichtümer sollen es sein.«
»Gold und Geld, nur darum scheint es im Leben zu gehen«, sagte Odilie.
»Wir brauchen weder das eine noch das andere«, antwortete ich und drückte sie an mich.
»Nur ein bisschen Zeit für uns.«
»Die haben wir jetzt. Wir wollen sie in vollen Zügen genießen. Du, meine Prinzessin, hast dich wie ein Vogel im Käfig gefühlt, ich hingegen saß immer davor – und war trotzdem ein Gefangener der
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