Der Medicus von Heidelberg
jubelnd. Endlich würde ich meine Prinzessin wiedersehen!
Und nun saßen wir eng umschlungen vor unserer Hütte auf unserer Insel, und es war uns, als gäbe es kein schöneres Plätzchen auf Erden. Schnapp, der vor Freude über das Wiedersehen mit Odilie kaum zu bändigen gewesen war, ruhte friedlich an unserer Seite. »Ich kann es noch gar nicht glauben«, sagte ich nah an Odilies Ohr. »Ist es wahr, dass du neben mir sitzt?«
»Ja, es ist wahr«, flüsterte sie glücklich. »Und sollte es nur ein Traum sein, wäre es der schönste Traum, den ich jemals gehabt habe.«
Daraufhin schwiegen wir eine Weile und beobachteten ein paar Heckenbraunellen, die zwitschernd vor uns in den Zweigen herumflogen. Die kleinen gefiederten Bälle hatten kaum Scheu vor uns – ein Beweis für die Abgeschiedenheit der Insel.
»Wie lange wird unser Traum dauern?«, fragte ich.
»Bis zum Ende des Monats, mein Liebster. Wie verabredet, habe ich dem Weiberfreund von meiner Schwägerin Johanna im Kloster Eibingen erzählt und ihn gebeten, sie besuchen zu dürfen. Ich sagte, ich wolle eine Woche bei ihr verbringen, wäre also mit der Hin- und Rückreise mindestens vierzehn Tage fort. Ich bat ihn am Morgen nach dem Maskenball um die Erlaubnis, aber er sagte, er wolle selbst verreisen, und das sei wichtiger. Seine gesellschaftliche Stellung verlange, dass ich ihn begleite. Mir blieb nichts anderes übrig, als einzuwilligen.«
»Und wohin wollte der grässliche Kerl mit dir?«
»Zu den Zisterzienserinnen im Kloster Herchen.«
»Christoph, der Lüstling, in einem Kloster? Kaum zu glauben. Und ich hatte schon gedacht, die Reise wäre ein Versuch von ihm, sich mit dir auszusöhnen.«
Odilie schmiegte sich an mich. »Von Aussöhnung konnte keine Rede sein. Der Weiberfreund hat mich immer wie Abschaum behandelt, er hat mich niemals berührt, und ich werde nicht zulassen, dass es jemals geschieht. Doch lass dir erzählen, was es mit dem Klosterbesuch auf sich hatte. Du musst wissen, dass es nicht gut um das Geschwür in seinem Auge steht. Es wird von Monat zu Monat schlimmer. Das Geschwür drückt auf den Augapfel und bereitet ihm große Schmerzen. Die Sehfähigkeit ist kaum noch vorhanden. Die Ärzte sagten, man könne die Geschwulst nicht operieren. Man könne nur beten und auf ein Wunder hoffen.«
Odilie streckte ihre Hand aus und begann, Schnapp zu streicheln. Dann sprach sie weiter: »Da geschah es, dass Christoph von einer jungen Adligen namens Thusnelde zu Salmbach hörte. Von ihr sagt man, sie sei von Geburt an blind gewesen, bis sie eines Tages auf dem Weg zum Kloster Herchen an dem Heilbrunnen bei Windeck Rast machte. Sie trank von dem Wasser und ward wieder sehend.«
»Und das wünschte der Weiberfreund sich natürlich auch?«
»Ja, mein Liebster. Aber zunächst wollte er zum Kloster, um von den frommen Frauen den Segen für sein Vorhaben zu erlangen. Zu dem Zweck führte er reiche Geschenke mit sich. Er sagte, die Klosterweiber seien alle geil und bestechlich, es komme nur auf die Menge an, dann könne man von ihnen haben, was man wolle. Ausgestattet mit ihrem Segen, wollte er dann zu dem Heilbrunnen aufbrechen.«
»Er hat also nichts unversucht gelassen.«
»So kann man es nennen. Aber die frommen Frauen machten es ihm schwerer als erhofft. Sie erkannten seine lasterhafte Natur und zwangen ihn zu einer vierwöchigen Einkehr in einer abgeschiedenen Klause. Erst nach dieser Läuterung sollte er den Segen bekommen.«
»Und hat er durchgehalten?«
»Zähneknirschend, wie ich vermute. Ich habe ihn während der vier Wochen nur einmal von weitem gesehen, weil ich selbst das Gewand der Nonnen trug. Es war eine Zeit, die mir sehr gutgetan hat. Ich habe viel nachgedacht. Auch über uns.«
»Und zu welcher Erkenntnis bist du gekommen?«
Odilie ließ von Schnapp ab, nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände und küsste mich zart auf den Mund. »Zu dieser.«
»Ich merke, du taugst nicht zur Nonne, das ist gut. Und wie ging es weiter?«
»Als der Weiberfreund den Segen endlich hatte, fuhren wir zu dem Heilbrunnen, wo er über mehrere Tage immer wieder von dem Wasser trank.«
»Hat es etwas genützt?«
Odilie sah mich mit ihren türkisfarbenen Augen an und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich habe mich dabei ertappt, dass ich ihm alles Schlechte wünschte. Das war nicht recht von mir, auch wenn er der Letzte ist, der ein Wunder verdient. Er glaubte zunächst tatsächlich an die Heilkraft des Wassers, aber schon nach
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