Der Medicus von Heidelberg
Ufer, wo im dichten Röhricht die fürstliche Kutsche mit den bestochenen Wachen wartete.
Dann küssten wir uns ein letztes Mal. Odilie sah mich an. Ihr Gesicht, das ich so liebte, war steinern vor Kummer. »Mein Liebster«, murmelte sie, »ich will nicht mehr weinen. Du sollst keine heulende Frau in Erinnerung behalten. Ich will stark sein. Ich muss stark sein. Auf … auf Wiedersehen.«
Sie stieg aus dem Boot wie eine Königin und schritt geradewegs ins Schilf hinein, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen.
Ich blickte ihr nach, starr und ungläubig, und mir war, als hätte jemand meine Seele zerrissen.
Fischel stieß das Boot wieder zurück in den Fluss, ergriff die Riemen und ruderte mit kräftigen Schlägen flussaufwärts nach Heidelberg.
»Wenn Ihr wüsstet, welche Sorgen ich mir in den letzten Wochen um Euch gemacht habe, hättet Ihr Euch längst gemeldet.« Professor Koutenbruers Stimme war nicht ohne Vorwurf. »Was ist denn nur passiert?«
Wir saßen im Diensthaus der medizinischen Fakultät, Koutenbruers prächtigem Wohnsitz, wo ich ihn aufgesucht hatte, um das Geheimnis meines Verschwindens zu lüften. Lange hatte ich geschwankt, ob ich ihn einweihen sollte, mich dann aber dafür entschieden. Er war zwar ein Mann mit vielerlei Verbindungen, von denen ich die wenigsten kannte, aber er war gewiss auch jemand, der schweigen konnte. »Es tut mir leid, dass ich kein Lebenszeichen von mir gab, Herr Kollege«, sagte ich. »Aber ich konnte es nicht.«
Koutenbruer winkte dem Hausdiener, damit dieser Wein nachschenke, wartete, bis er das Zimmer verlassen hatte, und sagte: »Ihr konntet es nicht? Das ist schwer vorstellbar. Man ist immer in der Lage, eine kurze Nachricht zu versenden. Es sei denn, man ist tot.«
»Viel hätte nicht gefehlt, und ich wäre es gewesen.«
Koutenbruer riss die Augen auf. »Das müsst Ihr näher erklären.«
Ich trank von dem Wein, der vorzüglich war, und sagte: »Ihr kennt ja Fischel Blau, dessen Sohn Simon fast an der Bräune gestorben wäre …«
»Natürlich, ich habe die Behandlung ja geleitet.«
»Nun, wenn besagter Fischel Blau mich nicht aus dem Neckar gerettet hätte, würde ich heute nicht hier sitzen.« Dann erzählte ich die ganze Geschichte. Allerdings, ohne meine Zeit mit Odilie auf der Gais-Insel zu erwähnen. Ich sagte nur, dass ich lange gebraucht hätte, um mich von dem heimtückischen Überfall zu erholen. »Ich weiß nicht, wer es auf mich abgesehen hatte«, schloss ich, »auf jeden Fall schien es mir ratsamer, die Täter in dem Glauben zu lassen, ihr Vorhaben hätte Erfolg gehabt.«
Koutenbruer war bei meinen Worten blass geworden. »Das ist ja kaum zu glauben, mein lieber Nufer, was Ihr da erzählt! Wer kann so abgefeimt sein, einen Mord an Euch begehen zu wollen? Alles hat eben seine zwei Seiten, und jetzt, da ich die Eure kenne, muss ich zugeben, Ihr tatet recht daran, Euch für eine Weile, äh, unsichtbar zu machen.«
»Danke für Euer Verständnis.«
»Nun ja« – Koutenbruer wischte sich mit dem Zeigefinger die Nase, einmal hin, einmal her, wie er es immer zu tun pflegte, wenn er innerlich aufgewühlt war – »es wäre gut, wenn Rosanna, die Kundige Frau, ebenfalls wüsste, dass Ihr lebt. Von allen im Hospital ist sie diejenige, die sich am meisten um Euch grämt. Soll ich sie informieren? Ich denke, sie wird schweigen können.«
»Ich wäre Euch sehr verbunden, Herr Kollege.«
»Gut, dann ist es abgemacht. Gehe ich richtig in der Annahme, dass niemand sonst von Eurer, äh, Rettung erfahren soll, auch nicht die Brüder der
Sodalitas litteraria Rhenana?
«
»Das wäre mir, ehrlich gesagt, lieber.«
»Dann soll es so sein. Trinken wir darauf, dass Ihr lebt, Nufer!«
Nachdem wir getrunken hatten, setzte ich mein Glas ab und sagte: »Ich würde gern wie früher an der Universität arbeiten, aber ich weiß nicht, wann ich es wagen kann, mich wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen.«
Bevor Koutenbruer antwortete, wollte er mir nachschenken, aber ich lehnte höflich ab, weil ich einen klaren Kopf behalten wollte.
»Nun, mein lieber Nufer«, sagte er, »da Ihr nach dem Überfall Eure Lungenentzündung bei Fischel Blau auskuriert habt – übrigens, ohne meine Hilfe hinzuzuziehen, was ich Euch eigentlich verübeln müsste –, wird es Euch nicht entgangen sein, dass die Pest in der Stadt um sich greift. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass inzwischen zwanzig bis dreißig Todesfälle täglich zu beklagen sind, und es werden mehr. Die
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