Der Medicus von Heidelberg
deren Ende wir haltmachten.
»Thérèse ist eine alte Freundin von mir«, sagte ich zu Meister Karl, bevor ich an die Tür ihres großen Anwesens klopfte.
Meister Karl nickte.
Frieda, die Hausmagd, öffnete die Tür einen Spaltbreit und schaute uns misstrauisch an. Als sie mich erkannte, öffnete sie ganz und sagte: »Ach, Ihr seid’s, Herr Medicus. Dachte schon, der Advokat will mich rausschmeißen.«
»Welcher Advokat?«, fragte ich.
»Der, der den ganzen Papierkram macht«, antwortete Frieda und schniefte.
Ich ahnte nichts Gutes und fragte: »Was ist passiert?«
»Die Herrin is tot, Herr. Die Pest hat sie geholt. ’s is noch gar nich so lange her, vielleicht zwei Wochen.« Frieda begann zu weinen.
»Thérèse tot?« Ich konnte es nicht glauben. Die fröhliche, lebenslustige Thérèse sollte gestorben sein? »Lass uns erst einmal herein.«
Frieda führte uns in die große Küche, wo sie uns einen Platz an dem blankgescheuerten Eichentisch anbot.
»Und nun erzähle uns alles«, forderte ich sie auf, nachdem wir uns gesetzt hatten.
Mit stockenden Worten, immer wieder weinend, berichtete Frieda, die Herrin sei am achtundzwanzigsten März gestorben, sie wüsste es noch auf den Tag, weil’s genau einen Monat nach dem Tod des Kurfürsten Philipp gewesen sei. Aber der Kurfürst sei nicht an der Pest gestorben, der sei an einer anderen Krankheit gestorben, und sein Nachfolger sei der Ludwig, sein ältester Sohn, und wegen der Pest hätte es auch kein Fest gegeben, jedenfalls kein sehr großes, als der Ludwig den Thron vom Philipp bestiegen hätte.
Allmählich beruhigte Frieda sich. »Ich kann Euch nich viel anbieten, Herr, nur Brot un Bier«, sagte sie entschuldigend. »Sind ja alle tot oder weg. Nur ich bin noch da.«
»Ein Bier täte uns gut nach der langen, staubigen Reise«, antwortete ich. »Wir haben die ganze Strecke von Oppenheim hierher zu Fuß zurücklegen müssen. Es fuhren kaum Kutschen.«
»Jaja, ’s sind schlimme Zeiten.« Frieda schenkte Meister Karl und mir einen Becher Bier ein.
Ich fragte: »Du erwähntest eben einen Advokaten, der den Papierkram machen müsse. Weißt du Näheres über ihn?«
»Der soll Euch das Haus übergeben, Herr. Das hat er gesagt. Un er hat gesagt, dass für mich vielleicht kein Platz mehr da is.«
Frieda kamen schon wieder die Tränen, aber ich sagte rasch: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass in diesem Haus kein Platz für dich sein sollte. Was meinte der Advokat damit, als er sagte, er solle mir das Haus übergeben?«
»Ihr sollt’s erben, Herr! Das hat die Herrin auf’m Sterbebett gesagt. Ich hab’s genau gehört, un der Advokat war auch dabei. Un all das andere Geld, das auf der Bank, das sollen die Eltern der Herrin in Siegershausen kriegen.«
»Aha, so ist das also.« Ich brauchte eine Weile, um sämtliche Neuigkeiten zu verkraften. Das Leben ging manchmal seltsame Wege. Bis vor einer Stunde war ich noch ein wenig begüterter Medicus gewesen, jetzt war ich plötzlich Besitzer eines hochherrschaftlichen Hauses im Herzen Heidelbergs. Doch ich konnte mich darüber nicht freuen. Thérèses Tod ging mir zu nah. Ich hätte ihr Ehemann werden können, das wusste ich, doch nun war sie tot, dahingerafft von der alles verschlingenden Schlange Pest. Wie ich diese tückische Krankheit hasste!
Frieda schenkte mir Bier nach und fragte Meister Karl: »Wollt Ihr auch noch Bier, Herr?«
Meister Karl hob unschlüssig die Hand.
»Was anderes hab ich leider nich, Herr. Nur Wasser. Ich hab’s extra vom Hofbrunnen raufgeholt un nich vom öffentlichen Brunnen, weil alle Welt sagt, da wären die Keime drin für die Pest. Wollt Ihr Wasser oder wollt Ihr Bier?«
Meister Karl blickte mich hilfesuchend an.
»Meister Karl ist stumm«, sagte ich.
»Ach so, das konnt ich ja nich wissen.« Frieda schaute Meister Karl neugierig an.
»Ich glaube, Meister Karl trinkt noch ein Bier, genau wie ich.«
Meister Karl nickte erleichtert.
In den vergangenen Monaten hatte ich oftmals für ihn sprechen müssen, denn er war mit mir nach Oppenheim gegangen und hatte mich und meine Arbeit dort nach Kräften unterstützt. Einer der Gründe dafür lag in dem Brief, den er mir an meinem Abreisetag übergeben hatte. Er war von meinem Freund de Berka gewesen und hatte wie folgt gelautet:
Mein lieber Lukas!
Nun hat, wie ich höre, die Pest auch in Heidelberg Einzug gehalten. Ich wünsche mir von Herzen, dass Du sie genauso unbeschadet überstehen mögest wie damals bei uns in Erfurt. Hinz,
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