Der Medicus von Heidelberg
Lilott und Muhme Lenchen geht es gut, und auch ich bin bei bester Gesundheit.
Eustach jedoch ist im letzten Monat gestorben. Das alte Herz wollte nicht mehr.
Als sich bei uns die Kunde verbreitete, in Heidelberg sei die Pest ausgebrochen, bedeutete Meister Karl mir, er würde gern zu Dir reisen, um sich gemeinsam mit Dir weiter in der Kunst der Zergliederung zu üben. Die Pest, so tückisch und mörderisch sie auch sei, biete sicher gute Gelegenheit dazu.
Meine Gedanken sind bei Dir. Trotze der Pest und finde Dein Glück! Meister Karl ist ein verlässlicher Mann. Es tut gut, ihn an Deiner Seite zu wissen.
Gott schütze Dich, mein Freund!
Justus
Erfurt, am 25 . Juli 1507
Seitdem war Meister Karl mir ein treuer Gefährte geworden. Er hatte mich auf meinem Weg nach Oppenheim begleitet und wie ich ein Zimmer im Zeughaus am Marktplatz bezogen. Die Bleibe hatte nicht für sich in Anspruch nehmen können, besonders bequem zu sein, doch die besseren Unterkünfte waren anderen Fakultäten der Ruperto Carola vorbehalten – an erster Stelle den Theologen. Koutenbruer, obwohl auch Mediziner, hatte es ebenfalls günstiger getroffen. Er bewohnte mit seiner Familie ein schönes Patrizierhaus in der Treibergasse, unweit des Saumarktbrunnens.
Überhaupt hatte Koutenbruer dem unfreiwilligen Aufenthalt in Oppenheim manche schöne Seite abgewinnen können. Er war ein gerngesehener Gast in den zahlreichen Weinschänken gewesen und hatte, ähnlich wie in Heidelberg, wertvolle Verbindungen zu den Honoratioren der Stadt geknüpft. Den behelfsmäßigen Lehrbetrieb hatte er weitgehend mir überlassen. Doch mir war das nur recht gewesen, und Meister Karl, der mich in allem unterstützte, hatte mit mir mehrere Leichen kunstvoll seziert.
Der Ort, an dem wir das getan hatten, war ähnlich ungewöhnlich wie die Vorratsgrube im Haus meines Freundes de Berka, denn unter vielen Bürgerhäusern Oppenheims befanden sich tiefe Keller, die von ihren Besitzern in die Löss- und Lehmschichten des Bodens gegraben worden waren. Der Grund lag in der drangvollen Enge, die in der Altstadt herrschte. Man brauchte Lagerfläche für Waren aller Art, unter anderem auch für Bierfässer, dafür sorgten nicht weniger als siebzehn Brauereien, die den würzigen Trank produzierten. Hatten anfangs nur einige Bürger für sich einen Keller gegraben, waren im Laufe der Zeit immer mehr hinzugekommen, Keller, die man miteinander verband, so dass am Ende ein kleines Labyrinth auf verschiedenen Ebenen entstand. Wer sich darin nicht auskannte, konnte sich rettungslos verlaufen, weshalb die Keller auch als Zufluchtsstätte vor feindlichen Truppen genutzt wurden. Da die Oppenheimer es überdies von jeher verstanden, Feste zu feiern, verlegten sie irgendwann ihre Vergnügungen auch unter die Erde, ein Spaß, dem die Studenten der Ruperto Carola verständlicherweise besonders zugetan waren.
Meister Karl und ich jedoch hatten einen der Keller genutzt, um uns weiter in der Zergliederungskunst zu üben. Leider waren es nur männliche Tote, derer wir uns bedienen konnten – in der Hauptsache Diebesgesindel, das man gehängt oder gerädert hatte –, doch für unsere Studien der Sehnen und Muskeln am menschlichen Körper waren sie so gut wie jede andere Leiche gewesen. Ein ums andere Mal hatte ich dabei gestaunt, mit welcher Behutsamkeit und Geschicklichkeit Meister Karls klobige Hände bei der Arbeit vorzugehen vermochten.
Nachdem Frieda Meister Karl ebenfalls nachgeschenkt hatte, sagte ich zu ihr: »Wenn es wahr ist, dass ich der Erbe dieses Hauses bin, brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es ist gut, wenn jemand hier nach dem Rechten sieht und sich darum kümmert, dass die Schaben und Mäuse in den Vorratskammern nicht überhandnehmen.«
Frieda traten vor Glück schon wieder die Tränen in die Augen. Sie wollte meine Hand ergreifen und sie küssen, aber ich wehrte ab. »Schon gut, Frieda. Sag, erinnerst du dich noch an den Namen des Advokaten?«
»Nun, Herr, äh …«
»Lass nur. Es war alles sicher viel zu aufregend für dich, als dass du darauf hättest achten können. Ich finde den Namen auch so heraus.«
»Danke, Herr. Wollt Ihr nich bleiben? Ich meine, jetzt, wo’s doch Euer Haus is?«
Frieda hatte recht. Der Gedanke lag nahe. Doch ich hatte keineswegs das Gefühl, als wäre es »mein« Haus. Alles in den Räumen erinnerte mich an Thérèse. Es wäre gefühllos gewesen, es in Besitz zu nehmen wie ein beliebig gekauftes Objekt. »Ich werde es mir
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