Der Medicus von Heidelberg
und setzte mich zu Gertrud, Thérèse und Schnapp, der an ein Stuhlbein gebunden war, damit er nicht fortlief. Obergsell, ein bärtiger Mann mit geschmeidigem Gang, kam und fragte, was wir essen wollten. Es gäbe mit Öl und Zwiebeln gebratene Renken oder gekochten Waller in Wurzelsud, dazu könnten wir eine Pilzsuppe und mit Erbsen angereichertes Brot haben. Dünnbier zum Runterspülen der Speisen wäre auch da.
»Was geht denn schneller, die Renken oder der Waller?«, fragte Gertrud.
»Der Waller.«
»Dann nehmen wir den«, entschied sie.
Nachdem die Speisen gebracht worden waren, sprach ich ein kurzes Tischgebet, und wir aßen. Doch schien es nur Thérèse und mir zu schmecken, denn Gertrud nahm so gut wie nichts. »Warum isst du nicht?«, fragte ich.
»Hab keinen Hunger.«
»Aber du musst Hunger haben«, beharrte ich. »Von Luft wird niemand satt.«
»Lass mich.« Plötzlich verzog Gertrud vor Schmerzen das Gesicht.
»Was hast du?« Ich sprang auf, um ihr zu helfen. Auch Thérèse war sehr erschrocken.
»Nichts, setz dich wieder.« Gertrud atmete tief durch. »Nur ein Alterszipperlein. Nun esst schon weiter, ihr beiden.«
Schweigend setzten wir unsere Mahlzeit fort und beobachteten, wie der Fettwanst am Nebentisch sich mit Schinken, Hühnchen, Wildschweinsülze, weißem Brot und kandierten Kürbisstücken vollstopfte. Da er gleichzeitig kräftig dem Wein zusprach, wurde seine Zunge zusehends lockerer, und irgendwann rief er, mit vollen Backen kauend, zu mir herüber: »Hört mal, mein Weib hat mir erzählt, was Ihr Euch Ihr gegenüber ge…« – er unterdrückte ein Aufstoßen – »geleistet habt. So geht’s nicht, Mönchlein, so nicht. Wisst wohl nicht, wen Ihr vor Euch habt? Ich bin Johann Ephraim Steisser, wohlbekannter Kaufherr und Zunftmeister aus Würzburg und, hupps, wer seid Ihr?«
Da der eingebildete Kerl mich ärgerte, beschloss ich, den Bogen doch etwas stärker zu spannen. »Ich bin einer, der die Fastenzeit einhält«, entgegnete ich. »Zufällig fahre auch ich nach Würzburg. Ich bin gespannt, was Seine Exzellenz der Bischof sagen wird, wenn er erfährt, wie Ihr beim Essen prasst, statt Euch zu bescheiden und auf das kirchliche Hochfest Ostern vorzubereiten.«
Der Fettwanst starrte mich mit offenem Mund an. Dann machte er ihn zu, schluckte mühsam, machte ihn wieder auf und stieß hervor: »Lasst mich zufrieden.« Dann aß er weiter, aber es schmeckte ihm sichtlich nicht mehr so gut. Gertrud lachte glucksend. Die kleine Auseinandersetzung schien ihre Lebensgeister wieder geweckt zu haben, denn sie griff zu einem Stück Waller, das sie sich mit Senf bestrich und mümmelnd verzehrte.
Bald darauf erhob sie sich. Sie wollte noch einmal nach ihren Rössern sehen und dann in ihre Kammer gehen. Der Fettwanst und seine Frau verschwanden ebenfalls, allerdings nicht, ohne mir vorher einen vernichtenden Blick zugeworfen zu haben. Thérèse schaute mich an und sagte: »Ich geh dann auch. Wo schläfst du eigentlich?«
»Ich schlafe in der Kutsche«, antwortete ich. Ich überlegte einen Augenblick, ob ich es ihr sagen sollte, fand aber, dass nichts dagegensprach. »Hör mal, Thérèse«, erklärte ich, »ich bin kein Geistlicher, ich bin ein Magister der Künste und auf dem Weg nach Erfurt, um dort Medizin zu studieren.«
Thérèse riss ihren hübschen Mund auf. »Was, du bist gar kein hochwürdiger Pater? Was bist du dann?«
Sie schien den zweiten Teil meiner Erklärung nicht mitbekommen zu haben. Also wiederholte ich noch einmal meine Worte und fügte hinzu: »Ein Studium ist sehr teuer, weißt du, und ich habe wenig Geld. Deshalb habe ich Gertrud vorhin gebeten, heute Nacht in der Kutsche schlafen zu dürfen.«
»In der Kutsche? Lieber Gott, wie aufregend!«
Ich lächelte. »Dass es aufregend wird, bezweifle ich. Ich werde mir ein paar Decken nehmen und mich auf eine der harten Holzbänke legen. Morgen früh sehen wir uns wieder.«
»Darf ich Schnapp die Nacht über bei mir behalten?«
Ich zögerte. »Nein. Bitte verstehe das, du hast ihn schon den halben Tag gehabt. Wie soll er sich da an mich gewöhnen.«
»Schade.« Sie wirkte so enttäuscht, dass mir meine Worte fast leidtaten. Bittend schaute sie zu mir auf. »Ich hab Schnapp nur während dieser Reise, aber du hast ihn für immer. Kann ich ihn nicht doch haben?«
»Nun ja, in Gottes Namen.« Widerstrebend willigte ich ein. »Gute Nacht, Thérèse.«
»Gute Nacht, Lukas.«
Eigentlich gab es nichts mehr zu sagen, doch wir
Weitere Kostenlose Bücher