Der Medicus von Heidelberg
blieben stehen, beide nach einem letzten Wort suchend. Schließlich wandte ich mich zum Gehen, aber Thérèse hinderte mich daran. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Morgen musst du mir erzählen, warum du ein Arzt werden willst«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Versprichst du mir das?«
»Ja«, murmelte ich, »ich versprech’s. Aber jetzt muss ich wirklich …«
»Schon gut, Herr Doktor.« Mit einem leisen Lachen lief sie fort, Schnapp fest an sich gedrückt.
Mitten in der Nacht wachte ich plötzlich auf. Ich hatte ein Geräusch gehört. Es war das Fiepen von Schnapp. »Nanu, woher kommst denn du?«, murmelte ich schlaftrunken.
»Er hat keine Ruhe gegeben und wollte unbedingt zu dir«, hörte ich Thérèse wispern. »Da musste ich ihn dir bringen. Bist du böse, dass wir dich geweckt haben?«
»Nein, natürlich nicht.« Ich rieb mir die Augen und sah Thérèse auf der gegenüberliegenden Bank sitzen. Fahles Mondlicht beschien ihr Gesicht. Soweit ich sehen konnte, war sie vollständig bekleidet.
»Ich muss gleich wieder gehen«, sagte sie.
»Ja, danke, dass du ihn gebracht hast.« Ich streichelte Schnapp, bis seine Wiedersehensfreude sich halbwegs gelegt hatte. Dann breitete ich eine Decke auf dem Kutschenboden aus und setzte ihn darauf. »Er wird sicher gleich einschlafen«, sagte ich. »Und wir sollten uns auch wieder hinlegen.«
»Ja, Lukas.«
»Gute Nacht, Thérèse.«
»Gute Nacht. Sag, hast du was geträumt?«
»Ich kann mich nicht erinnern, warum?«
»Ich hab auch nichts geträumt, ich meine, damals. Damals in der Scheune. Weißt du noch?«
»Nun … ich glaube, ja.« Thérèse sprach von unserer Begegnung in der Scheune, als ich zum ersten Mal an ihr den Schlafbefehl ausprobierte. Das lag lange zurück. Seitdem hatte ich kein einziges Mal von meiner seltsamen Fähigkeit Gebrauch gemacht.
»Wenn du willst, darfst du mich noch einmal einschlafen lassen. Aber du musst mir versprechen, dass du mir nichts tust.« Sie kicherte.
Ich verstand zu jener Zeit noch nicht viel von Frauen, aber dass Thérèse genau das Gegenteil von dem wollte, was sie sagte, war mir klar.
»Versprichst du’s mir?« Sie streckte ihre Hand aus, damit ich sie ergreife.
Ich tat es zögernd und überlegte, wie ich ihr Angebot ablehnen konnte, ohne sie zu verletzen. Nicht, weil ich sie nicht begehrenswert fand, sondern weil ich fürchtete, ich könnte mich ungeschickt anstellen, denn nie zuvor hatte ich bei einer Frau gelegen. Während ich noch nach einer Antwort suchte, kam sie plötzlich zu mir herüber, beugte sich über mich und küsste mich auf den Mund. Ich spürte ihren Atem, ihre Wärme, ihre Sinnlichkeit. Es war verwirrend schön. Ich wollte sie bitten zu gehen, doch schon nahm sie meinen Kopf zwischen ihre Hände und küsste mich abermals. Diesmal länger. Ich merkte, dass sie in der Liebe viel erfahrener war als ich, und mein Wunsch, mit ihr diese Erfahrung zu teilen, wurde übermächtig. »Ich glaube, es ist mir lieber, wenn du wach bleibst«, sagte ich heiser.
Wieder kicherte sie, während sie meine Kutte hochschob und ihre Hand zwischen meine Beine glitt. Eine Zeitlang verweilte sie dort und verursachte in mir einen Sturm der unterschiedlichsten Gefühle aus Scham, Lust, Unsicherheit und Gier. Dann, unvermittelt, zog sie ihre Hand zurück. »Willst du mich nicht auch einmal – berühren?«
»Ja«, sagte ich, »ja, das will ich.«
Der erste Hahnenschrei am nächsten Morgen weckte mich. Ich brauchte einige Augenblicke, um zu erkennen, dass ich mich in Gertruds Kutsche befand und Thérèse neben mir lag. Sie schlief friedlich wie ein Engel. Ich rüttelte sie sanft an der Schulter, bis sie die Augen öffnete. »Nun«, fragte ich, »hast du diesmal etwas geträumt?«
Die Frage war halb als Scherz gemeint, doch sie ging ernsthaft darauf ein. »Ja«, sagte sie, »ich hab geträumt, wir wären verheiratet, wir hätten ein Dutzend Kinder und genauso viele Kinderfrauen, die einem die Arbeit abnehmen. Wir würden in einem großen Haus leben mit einem Park dabei, hätten Dienerschaft und keine Sorgen, weil du als Medicus tausend Gulden im Jahr verdienen würdest. Und der König hätte dich geadelt, und ich wär eine richtige Gräfin. Ach, es wär wunderschön in Heilbronn.«
»In Heilbronn?«, fragte ich. »Warum ausgerechnet dort?«
Thérèse gähnte. »Ganz einfach, weil ich in Heilbronn aussteigen muss. Schade, dass da kein reicher Medicus auf mich wartet.
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