Der Medicus von Heidelberg
leben.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Braucht es nicht, Pater. Wenn Ihr nur bei Gelegenheit für mich beten würdet, wär’s genug.«
»Ich fürchte, das kann ich nicht. Ich bin kein Pater.«
»Was, Ihr seid tatsächlich keiner? Hab eben gedacht, Ihr macht einen Scherz.« Jetzt war es die Alte, die staunte. »Habt Ihr Euch verkleidet?«
»Gewissermaßen, ja.«
»Und darf man erfahren, warum?«
»Nun.« Ich zögerte. »Die Kutte ist von einer Nonne.«
»Von einer Nonne?« Die Alte schüttelte den Kopf. »Ihr versteht es, in Rätseln zu reden. Aber sei’s drum. Ist schließlich Eure Sache, wie Ihr herumlauft. Ich steck ja auch in Männerkleidern und bin kein Mann. Na, nichts für ungut.« Sie streckte mir die Hand hin, und ich ergriff sie.
»Man nennt mich übrigens ›die alte Gertrud‹. Aber ich wär dir dankbar, wenn du nur Gertrud zu mir sagst.«
»Ich bin Lukas.« Etwas verlegen ob unserer plötzlichen Vertrautheit fragte ich: »An welcher Stelle willst du den Rhein überqueren?«
»Gleich da vorn.« Gertrud wies auf eine Gruppe Trauerweiden, die nah am Ufer stand. »Da wohnt ein Freund von mir. Ettwiler heißt er. Mit seinem Floß werden wir übersetzen.«
Es bedurfte zweier Stunden harter Arbeit, dann war es geschafft. Gertruds Kutsche mit sämtlichen Insassen und Gepäck war glücklich auf der Nordseite des Rheins angelangt – auch die Rösser, die eigens hatten ausgespannt werden müssen, sowie Aaron, der sich während der Überfahrt sehr ängstlich gezeigt hatte und von mir fortwährend beruhigt werden musste.
Da ich Gertrud und Ettwiler beim Verladen und Verkeilen der Kutsche zur Hand gegangen war, hatte ich kaum einen Blick auf die Reisenden werfen können. Sie waren im Wagen sitzen geblieben, obwohl es die Sache erleichtert hätte, wenn sie ausgestiegen wären. Nur ab und zu hatte sich ein Gesicht in einem der Fenster gezeigt. Auf meine Frage, wer die Passagiere seien, hatte Gertrud mit den Schultern gezuckt und gekrächzt: »Die haben sich mir nicht vorgestellt, die Herrschaften. Reiche sind’s, Leute, die sich’s leisten können, durch die Gegend kutschiert zu werden. Wollten erst noch ihre Dienerschaft mitnehmen, weil sie meinten, ohne die ginge es nicht. Aber wo hätte die mitfahren sollen? Ich hab denen gesagt, sie könnten gern eine andere Kutsche nach Norden nehmen, und es hat mir diebischen Spaß gemacht, das zu sagen, weil ich ja die einzige Kutsche bin, die noch fährt. Ach ja, ein junger Backfisch ist auch noch dabei, die Tochter von Bauersleuten. Die hat mit den Geldleuten nichts am Hut. Aber recht hübsch anzusehen, die Kleine.«
Nachdem wir uns von Ettwiler, einem schweigsamen Mann mit gewaltigen Armmuskeln, verabschiedet und ihm anderthalb Pfennige für seine Dienste zugesteckt hatten, knallte Gertrud mit der Peitsche, und wir fuhren weiter. »Wo willst du überhaupt hin?«, fragte sie nach einer Weile.
»Nach Erfurt.«
»Erfurt? Das liegt im Thüringischen, wenn mich nicht alles täuscht. So weit fahr ich nicht. Ich kehr in Würzburg um. Dann geht’s auf gleichem Weg zurück nach Zürich. Freu mich immer, wenn ich wieder daheim in der Wohllebgasse bin. Die Strecke erscheint mir von Mal zu Mal länger.«
»Ich finde es schön hier oben. Man hat eine gute Aussicht und viel frische Luft.«
»Na, wart’s nur ab. Wenn’s Bindfäden regnet und man keinen trockenen Faden mehr am Leib hat, macht das Ganze nicht mehr so viel Spaß.«
»Da magst du recht haben.«
»Und gefährlich kann’s auch werden. Zwischen Bayern und der Kurpfalz herrscht neuerdings Krieg. Ruprecht, der Sohn von Philipp dem Aufrichtigen, liegt sich mit Albrecht, dem Bayernherzog, in den Haaren. Ein paar Scharmützel soll’s schon gegeben haben. Da dürfen wir nicht reingeraten.«
»Worum geht es denn bei dem Streit?« Ich fragte mehr aus Höflichkeit, denn beim Anblick der friedlichen Landschaft, die sich vor uns ausbreitete, konnte ich mir Waffengeklirr und Schlachtenlärm darin nur schwer vorstellen.
»Ach, was weiß ich. Der Zankapfel ist wohl wie immer Land. Als ob die hohen Herren von alledem nicht schon genug hätten. Na, jedenfalls ist deine Verkleidung als Pater nicht das Schlechteste. Vor einem Gottesmann haben die Landsknechte meistens Respekt. Den stechen sie nicht gleich ab. Und seine Begleitung auch nicht.«
Die Aussicht, bei einem Überfall den Gottesmann spielen zu müssen, behagte mir wenig. Ich versuchte deshalb, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. »Für den Fall,
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