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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Nur eine alte Tante. Vater hat bestimmt, dass ich sie so lange pflegen soll, bis sie stirbt.« Sie gähnte abermals und streckte sich wie ein Kätzchen. »Vorher soll ich dafür sorgen, dass die richtigen Worte in ihrem Testament stehen.«
    »So ist das also«, sagte ich. »Und warum hat dein Vater gerade dich dafür geschickt und überdies noch ohne Begleitung?«
    »Es war ja niemand da, der mitkommen konnte. Meine Geschwister werden alle auf dem Hof gebraucht, und außerdem …« Thérèse hielt unvermittelt inne.
    »Und außerdem?«
    »Ach nichts.«
    »Nun sag schon. Vielleicht ist es gut für dich, darüber zu sprechen?«
    »Ja, vielleicht. Ist ja auch einerlei.« Thérèse gab sich einen Ruck. »Um es frei heraus zu sagen, also, es gab da einen jungen Mann, den Xavi aus Hugelshofen, mit dem hab ich das gemacht, was wir heute Nacht … na ja, und als das rauskam, war’s natürlich gleich im ganzen Dorf rum, und Vater hat getobt, und Mutter hat von der Schande geredet, und dann haben beide beschlossen, dass es das Beste wär, wenn ich nach Heilbronn zu der Tante gehen würde, ehe der Prälat Bindschedler was davon erfährt.«
    Da sie mir leidtat, nahm ich sie in die Arme, aber die Nähe, die wir beide in der Nacht zuvor gespürt hatten, war nicht mehr da. »Der Prälat Bindschedler?«, fragte ich. »Wie geht es ihm?«
    »Ach, der ist jetzt wirklich alt. Ganz hinfällig. Aber im letzten Jahr hat er noch ein Kind deiner Mutter getauft. Es ist ein Junge, Jonas heißt er.«
    »Das wusste ich gar nicht.« Dass es Elisabeth Alespachin, meiner Stiefmutter, gutging, hatte ich vermutet, denn Vater hatte mir geschrieben, dass sie nach Elias’ Geburt noch einmal von gesunden Zwillingen entbunden worden war, aber dass sie noch ein weiteres Mal ein Kind zur Welt gebracht hatte, war mir neu. »Ich habe mich viel zu lange nicht daheim sehen lassen.« Ich seufzte. »Und wenn ich an Erfurt denke, wird sich das wohl so bald nicht ändern.«
    »Nimm’s nicht so schwer«, sagte Thérèse. »In jeder Veränderung steckt auch was Gutes.«
    Ihre Worte klangen etwas altklug, aber ich fand, sie hatte nicht ganz unrecht.
    »Um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass ich aus dem Kaff Siegershausen raus bin. Ich wär da sonst versauert. In Heilbronn wird es bestimmt viel aufregender.«
    »Bis dahin ist es noch ein weiter Weg«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir jetzt aufstehen. Der Tag bricht an.«
    »Gut, ich gehe in meine Kammer. Hoffentlich sieht mich keiner.« Thérèse kicherte.
    »Gut, ich gehe zur Pferdetränke – und Schnapp kommt mit mir.«
    »Schade.« Thérèse zog einen Schmollmund, verschwand dann aber.
    »Komm, Schnapp!«, rief ich und, ob Zufall oder Absicht, der kleine Kerl folgte mir auf dem Fuße. »Brav, Schnapp, brav. Du bist der beste Hund der Welt.«
    Wir gingen zum Stall, in dem Schnapp eifrig herumschnupperte und sein Geschäft neben einigen Pferdeäpfeln verrichtete, während ich mir Gesicht und Oberkörper wusch. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass es Aaron, Castor und Pollux gutging, strebte ich der Gaststube zu, in der bereits Gertrud und Thérèse saßen und die Morgensuppe aus einer großen Schüssel löffelten. Von dem fetten Zunftmeister Steisser und seiner hochnäsigen Frau war noch nichts zu sehen. Das war mir nur recht. Ich entbot die Tageszeit, band Schnapp an ein Stuhlbein und hielt bei der Suppe mit. Gertrud hatte wieder Appetit, von ihrem gestrigen Unwohlsein schien nichts mehr übrig. »Heute Abend werden wir in Freiburg sein«, verkündete sie unternehmungslustig. »Es sind kaum mehr als zwanzig Meilen. Im
Roten Bären
werden wir günstig unterkommen, weil der Wirt ein Bekannter von mir ist, Friedebert Hanman heißt er.«
    »Du scheinst viele Wirte zu kennen«, sagte Thérèse mit vollem Mund.
    »Ich fahr die Strecke seit fünfunddreißig Jahren«, antwortete Gertrud. »Da werde ich am Wegesrand wohl ein paar Leute kennen.«
    Wir beendeten unser Mahl und lobten Obergsell, der in diesem Augenblick dazukam, für seine schmackhafte Speise. »Nicht der Rede wert. Suppe ist immer eine gute Grundlage für eine lange Fahrt. Wollt ihr gleich los?«
    »Ja«, sagte Gertrud, »aber wir warten noch auf Steisser und seine Frau.«
    »Ist recht, aber seht euch unterwegs vor, wegen ihm da.« Obergsell deutete auf mich.
    »Wie meinst du das, Wirt?«, fragte ich.
    »Nur so. Gertrud weiß Bescheid.«
    »Aha«, sagte ich und verstand kein Wort. Als ich Gertrud fragend ansah, sagte sie: »Obergsell ist

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